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Die Regulierung von Lootboxen und der Aufgabenkatalog staatlicher Lotterieunternehmen

Professor Dr. Jörn Lüdemann ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschafts- und Medienrecht, Rechtstheorie und Rechtsökonomik der Juristischen Fakultät der Universität Rostock.

MMR 2024, 129   Sind Lootboxen Glücksspiele? Sollte man ihr Angebot regulieren? Und wenn ja, auf welche Weise? Über diese Fragen wird seit einiger Zeit intensiv gerungen (s. hierzu zB Nickel/Feuerhake/Schelinski MMR 2018, 235; Wittig MMR 2023, 180; Kaufmann MMR 2023, 739; Woerlein MMR-Aktuell 2023, 456999). Lootboxen sind eine Form von In-App-Käufen in Videospielen. Die zufälligen Inhalte der virtuellen Beutekisten, die vor dem Kauf regelmäßig nicht bekannt und durch die Spielerinnen und Spieler auch nicht beeinflussbar sind, können im weiteren Spielverlauf nützlich sein. So kann man etwa in einem E-Fußball-Game seinen Kader durch virtuelle Spitzenspieler aufwerten. Insbesondere begehrte digitale Raritäten werden in der Praxis aber nicht selten auch an andere Gamer weiterverkauft, mitunter für stattliche Summen. Wegen des glücksspielähnlichen Charakters der In-Game-Käufe steht im In- und Ausland nicht zuletzt der Kinder- und Jugendschutz im Mittelpunkt der rechtspolitischen Debatte (Wittig MMR 2023, 180; Anstötz/Krüper BzKJAKTUELL 1/2023, 8). Bislang haben in Deutschland allerdings weder die Länder noch der Bund eine spezielle Regulierung ins Werk gesetzt oder angekündigt (näher Krüper, Bund und Länder warten ab: Keine Lust auf Lootboxen, LTO v. 1.9.2023).

Der Gesetzgebungsvorschlag aus dem Hause WestLotto

In dieser Situation hat sich nunmehr WestLotto, das staatliche Lotterieunternehmen des Landes Nordrhein-Westfalen, mit einem vollständig ausgearbeiteten Gesetzgebungsvorschlag zu Wort gemeldet (https://www.westlotto.de/newsroom/wp-content/uploads/2023/09/Regulierungsvorschlag-Lootboxen-final.pdf). Der vorgelegte Entwurf für einen neuen § 14b JuSchG enthält einen ganzen Strauß von Regulierungsinstrumenten, die sich konzeptionell am Instrumentarium des Glücksspielstaatsvertrags orientieren: So sollen bei Lootboxen, die entgeltlich erworben werden, die Spieler zB registriert und ein monatliches Einzahlungslimit definiert werden. Zudem sollen die Gewinnchancen angegeben werden und die Spielerinnen und Spieler sollen über Suchtrisiken und Informationsangebote aufgeklärt werden. Auf Kosten der Spielehersteller soll eine Lootbox-Hotline bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eingerichtet werden und besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederholung von Erwerbsvorgängen sollen unzulässig sein. Die Lootboxen dürfen nicht als zwingendes Mittel für den Spielfortschritt dargestellt werden und die Zufallsgeneratoren, die über den Inhalt der Lootboxen entscheiden, sollen von unabhängigen, behördlich bestellten Dritten auf ihre ordnungsgemäße Funktion überprüft werden. Darüber hinaus soll gegenüber Minderjährigen Werbung für Lootboxen verboten werden.

Ausgearbeitet wurde der detaillierte Gesetzgebungsvorschlag durch eine Anwaltskanzlei im Auftrag von WestLotto. Inhaltlich baut der Vorschlag auf einem mehrjährigen fachlichen Austausch auf, den das staatliche Lotterieunternehmen initiiert und aktiv mitgestaltet hat.

Warum WestLotto?

Man mag diesen Gesetzgebungsvorschlag inhaltlich begrüßen oder ihn - wie die Games-Branche - entschieden ablehnen. Unabhängig davon irritiert die Herkunft der rechtspolitischen Initiative. Warum fühlt sich gerade die staatliche Lotteriegesellschaft eines Landes bemüßigt, dem Bundesgesetzgeber einen vollständig ausgearbeiteten Vorschlag zur jugendschutzrechtlichen Regulierung der Games-Branche zu unterbreiten?

Wenn das Unternehmen erklärt, es gehe ihm allgemein darum, „den gesellschaftlichen Diskurs zu ... wichtigen Themen aktiv mitzugestalten“ (https://www.westlotto.de/newsroom/unternehmen-markt/unsere-verantwortung/), so ist WestLotto freilich alles andere als ein natürlicher Teilnehmer am Selbstgespräch der Gesellschaft. Als staatliche Unternehmen sind die Lotteriegesellschaften gerade nicht Teil der Gesellschaft und insbesondere keine Grundrechtsträger, deren rechtspolitische Diskussionsbeiträge Ausdruck von Freiheitsrechten wie der Meinungsfreiheit sind. Anders als bei privaten Unternehmen muss das gesamte Handeln öffentlicher Unternehmen vielmehr auf die konkreten Aufgaben rückführbar sein, die ihnen von ihren öffentlichen Trägern ins Pflichtenheft diktiert worden sind. Nur zur Erfüllung dieser Aufgaben sind sie als Verwaltungsinstrument legitimiert. Im Öffentlichen Wirtschaftsrecht spricht man insoweit auch plastisch von der Instrumentalfunktion öffentlicher Unternehmen (näher Kahl/Ludwigs (Hrsg.), HdB des Verwaltungsrechts/Lüdemann, Bd. VI, 2024, § 166).

Jenseits des Aufgabenkatalogs

Wenn WestLotto angibt, mit seinem Vorstoß zur „konkreten Diskussion der Entscheidungsträger im Bund anregen“ zu wollen (https://www.westlotto.de/newsroom/westlotto-legt-ersten-regulierungsvorschlag-zu-lootboxen-vor-jugendschutz-ist-unser-hoechstes-ziel/), so existiert ein entsprechender Auftrag der Landeslotteriegesellschaften zu rechtspolitischer Intervention auf Bundesebene fraglos nicht, was schon mit Blick auf die föderale Kompetenzordnung wenig überrascht. Aber auch auf die eigentlichen Aufgaben der Lottogesellschaften lässt sich das Handeln von WestLotto nicht zurückführen.

Zwar haben die Lotterieunternehmen neben der Veranstaltung von Klassenlotterien und Sportwetten als ihrer eigentlichen Primäraufgabe auch sekundäre Pflichtaufgaben im Rahmen des Spieler- und Jugendschutzes. Das zeigt sich vor allem an den Regelungen zum Sozialkonzept in § 6 GlüStV, der die Anbieter von Glücksspiel ausdrücklich für das Erreichen der entsprechenden Ziele des § 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GlüStV in die Pflicht nimmt (Dietlein/Ruttig (Hrsg.), Glücksspielrecht/Dietlein, 3. Aufl. 2022, § 6 GlüStV, Rn. 4). Diese flankierenden Pflichten beziehen sich allerdings ausschließlich auf das eigene Angebot als Veranstalter von Glücksspiel: In ihrem eigenen Geschäftsbereich haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder und Jugendliche nicht an Glücksspielen teilnehmen, die dem GlüStV unterfallen. Und sie haben zudem auch sicherzustellen, dass die Spielerinnen und Spieler auf Gefahren von Glücksspiel sowie auf Informations- und Hilfsangebote hingewiesen werden.

Dass sich diese und weitere Pflichten allein auf den eigenen Spielbetrieb beziehen und keinen Auftrag der Lottogesellschaften zur Prävention in anderen Branchen begründen, zeigt zum einen der Katalog des § 6 GlüStV, der den Unternehmen ausschließlich unternehmensbezogene Pflichten wie etwa die Schulung der eigenen Mitarbeiter vorschreibt oder ihnen aufgibt, bei der internen Unternehmenskommunikation und ihrer Werbung die Ziele des GlüStV zu berücksichtigen. Zum anderen macht dies auch § 6 Abs. 2 S. 3 GlüStV unmissverständlich deutlich, wenn dort vorgeschrieben wird, dass die Sozialkonzepte der Veranstalter gerade auf die jeweiligen Glücksspielformen abzustimmen sind. Nirgends wird den staatlichen Lotterieunternehmen aber ein Präventionsauftrag über den eigenen Spielbetrieb hinaus erteilt, insbesondere nicht für andere Branchen. Auch die Nutzung des deutschlandweiten Spielersperrsystems OASIS ist insoweit kein Gegenbeispiel, weil auch sie eine unternehmensbezogene Pflicht darstellt.

Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass die heutigen Jugendlichen die Lottospieler von morgen sein könnten und man deshalb schon im Vorfeld in anderen Branchen ansetzen müsste (https://www.westlotto.de/newsroom/wp-content/uploads/2023/05/Magazin-zwanzig22-ONLINE.pdf, S. 11). Selbstverständlich spricht überhaupt nichts gegen Erwägungen zum Jugendschutz beim Gaming, gerade auch angesichts der zunehmenden Konvergenz von Gaming und Gambling. Aber es gibt im öffentlichen Sektor hinreichend Stellen, die im Unterschied zu den Lotteriegesellschaften für den Jugendschutz in anderen Branchen tatsächlich zuständig sind.

Wenn das Instrument mehr als ein Instrument sein möchte

Auf dem begrenzten Auftrag der staatlichen Lotteriegesellschaften zu insistieren, ist keine juristische Beckmesserei. Es lässt sich immer wieder beobachten, dass öffentliche Unternehmen mehr sein wollen als ein bloßes Instrument der Verwaltung. Sie definieren für sich zusätzliche Aufgaben und entwickeln auch sonst ein mehr oder minder ausgeprägtes Eigenleben. Doch dazu haben sie in der Verwaltungskompetenzordnung kein Recht. Vielmehr sind die Träger der öffentlichen Unternehmen im Rahmen ihrer Ingerenzpflichten gehalten, durch Steuerung und Kontrolle mäßigend auf ihre Unternehmen einzuwirken, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Staatshandeln gerecht zu werden - nicht zuletzt mit Blick auf das Demokratieprinzip und die unter seiner Ägide unabdingbare Rückführbarkeit staatlichen Handelns auf den Volkswillen.

Wie sehr hingegen gerade in unserem Kontext der Schwanz mit dem Hund wedelt, zeigt der Rückblick auf die jüngste Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags. Die Länder haben sich beim Erlass des GlüStV 2021 trotz entsprechender Diskussionen gerade nicht auf eine besondere Regulierung von Lootboxen verständigen können. Diese gesetzgeberische Entscheidung mag die Unternehmensleitung von WestLotto falsch finden. Aber das staatliche Lotterieunternehmen hat kein Mandat, seinen Vorstellungen nunmehr durch Lobbyarbeit auf der Bundesebene zum Durchbruch verhelfen zu wollen. Insbesondere ist es nicht hinzunehmen, dass ein staatliches Unternehmen jenseits seines Aufgabenkatalogs die Regulierung privater Unternehmen in Nachbarmärkten einfordert und sein Personal und öffentliche Gelder dazu einsetzt, um entsprechende Regulierungsvorgaben zu erarbeiten und eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs zu beauftragen. Die Aufgaben von WestLotto sind das geordnete Angebot von Glücksspiel und die Verwirklichung des Spieler- und Jugendschutzes im eigenen Geschäftsbereich. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Rostock/Berlin, im Februar 2024

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