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USA: Netzneutralität - Ring frei zur nächsten Runde

Dr. Axel Spies ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Morgan, Lewis & Bockius in Washington DC und Mitherausgeber der MMR.

MMR 2023, 804   Wem darf Vorfahrt auf den Datenautobahnen eingeräumt werden? Das Thema Netzneutralität beschäftigt die Federal Communications Commission (FCC) in den USA schon seit vielen Jahren (vgl. Spies/Ufer MMR 2011, 13 und MMR 2015, 91; Spies MMR 2022, 425). Jetzt soll das Rad für die Breitbandanbieter hin zu mehr Regulierung zurückgedreht werden. Beim Schlagabtausch diesmal geht es um die nationale Sicherheit, die Rolle der FCC und indirekt auch um Cloud-Anbieter.

Politisches Tauziehen seit vielen Jahren

Ohne hier tief in Anfangsgründe der Netzneutralität einzusteigen: Unter der Obama-Regierung verabschiedete die FCC nach langer Diskussion 2015 die Open Internet Order, mit der die Anbieter von Breitband-Internetzugangsdiensten (BIAS) als TK-Anbieter gemäß Title II Communications Act eingestuft wurden. In diesem umfangreichen Title II sind die Anforderungen für sie detailliert festgelegt. Dessen Abschnitte (Section) 201 und 202 verlangen von den erfassten Betreibern, dass sie

# Kommunikationsdienste auf „angemessenen Antrag“ bereitstellen,

# „gerechte und angemessene Tarife“ berechnen und

# „keine ungerechte oder unangemessene Diskriminierung“ vornehmen.

Ein Hauptmerkmal der Open Internet Order von 2015 waren drei „Bright Line“-Regeln, die den erfassten Unternehmen das Sperren, Drosseln und die bezahlte Priorisierung von Internetinhalten untersagten. Obwohl das Berufungsgericht die Open Internet Order von 2015 bestätigte, machte die FCC unter ihrem Vorsitzenden Pai im Jahr 2017 während Trump-Regierung die Open Internet Order durch die Restoring Internet Freedom Order wieder rückgängig.

Was will die FCC erreichen?

Mit dem von der FCC veröffentlichten Entwurf zur Bekanntmachung über die vorgeschlagene Regelung (NPRM) mit dem Title „Safeguarding and Securing the Open Internet“ v. 28.9.2023 wollen die den Demokraten zuzurechnenden FCC-Kommissare die BIAS wieder als Dienst nach Title II einzustufen. Sie wollen zurück zu den Regeln von 2015. Politisch ist das jetzt möglich, weil die Demokraten seit kurzem wieder drei statt zwei Posten der FCC-Kommissare besetzen und damit die zwei republikanischen Kommissare überstimmen können. Im Einzelnen ist Folgendes vorgesehen:

# Einstufung von BIAS nach Title II: Die FCC schlägt vor, BIAS als TK-Dienst gemäß Title II Communications Act einzustufen. Die Klassifizierung als TK-Dienst würde sowohl für Festnetz-basierte als auch für mobile BIAS gelten. Ohne hier auf die Einzelheiten einzugehen: Eine Ausweitung dieser Regeln könnte zB „cloud-based storage services“ als „add-on information services“ (Ziff. 79) mit umfassen, sofern diese Dienste der Allgemeinheit im Bündel mit Internetzugang angeboten werden.

# Nationale Sicherheit und Verbesserung der Strafverfolgung: Die FCC beabsichtigt, dass die Neueinstufung von BIAS ihr die Werkzeuge an die Hand gibt, nationale Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen. Im Wesentlichen wäre das eine Lizenzierungspflicht nach Section 214 Communications Act für die BIAS in den USA („International Section 214 License“). Neben umfangreichen Berichtspflichten könnte die FCC könnte dann den erfassten Unternehmen zB verbieten:

# Vereinbarungen über den Austausch von Internetverkehr mit bestimmten Unternehmen zu treffen (Internet peering, traffic exchange oder interconnection).

# „verdächtige“ TK-Geräte zu verwenden oder gar zu entfernen, weil sie zu Spionagezwecken genutzt werden könnten oder

Zusammenschaltungsvereinbarungen mit Betreibern einzugehen, die solche verbotenen Geräte und Dienste verwenden.

Wie in der Internet Order von 2015 schlägt die FCC mit der Title II-Klassifizierung vor, auf viele der Anforderungen von Title II für die BIAS erst einmal zu verzichten - wie Tarifregulierung und der Regeln zur Entbündelung. Sie lässt jedoch die Möglichkeit offen, die Ausnahmeregelung einzukassieren. Die FCC-Vorsitzende Rosenworcel betont, dass keine Tarifregulierung beabsichtigt ist.

# Überprüfung ausländischer Eigentumsverhältnisse durch „Team Telecom“: Der Ansatz, die Neuklassifizierung von BIAS als Mittel zur Berücksichtigung nationaler Sicherheitsaspekte zu nutzen, hat gravierende Auswirkungen gerade für ausländische Unternehmen: Wenn BIAS-Anbieter für die Lizenzierungsanforderungen von Section 214 unterliegen, öffnet dies Tür und Tor für die Überprüfung ausländischer Eigentumsverhältnisse der Anbieter durch das überbehördliche Gremium „Team Telecom“. Die FCC hat im September 2023 entschieden, dass sich auch VoIP-Anbieter ab einer bestimmten ausländischen Beteiligungsschwelle und mit Zugang zu US-Nummern einer nationalen Sicherheitsüberprüfung durch das Gremium stellen müssen. Die Anbieter von BIAS, die bisher nicht lizenzierungspflichtig sind, müssten sich dann wohl ebenfalls nach der FCC-Einstufung unter Title II der Überwachung durch Team Telecom unterwerfen. Das führt dann für sie zu aufwändigen Meldepflichten zB bei Änderungen der Beteiligung am Unternehmen.

# Cybersicherheit: Ein weiterer aktueller Themenkreis! Die FCC will neue Befugnisse für BIAS um:

# Schwachstellen des Border Gateway Protocol zu beheben,

die Umsetzung von Cybersicherheitspraktiken und Risikomanagementplänen zu verlangen,

# Verpflichtung der Internetdienstanbieter zur Sperrung von IP-Adressen zu verlangen, von denen schädliche Software und Ransomware ausgeht usw.

# Datenschutz: Die FCC schlägt vor, die erfassten BIAS-Anbieter zu verpflichten, die Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit in Abschnitt 222 Communications Act einzuhalten. Die FCC vertritt die Ansicht, dass die Neueinstufung von BIAS und deren Unterwerfung unter die bestehenden Datenschutzanforderungen (Customer Proprietary Network Information - CPNI) angemessen sei. Die FCC regelt als „Datenschutzbehörde“ die CPNI.

# Universaldienst: Wie bereits in der Open Internet Order von 2015 schlägt die FCC vor, derzeit keine Beiträge zum defizitären US-Universaldienstfonds von BIAS-Anbietern zu verlangen. Die FCC lässt die Tür für ein zukünftiges Verfahren hierüber offen.

Gemischtes Echo

Nach Jahren des Hin und Her also nun ein neuer Vorstoß der FCC, die Breitbandanbieter in die Klassifizierung nach Title II des Communications Act zu überführen. Die Kritik aus dem Lager der Republikaner erfolgte postwendend: FCC-Commissioner O'Rielly brandmarkte die Initiative als „Clown Show“. Die Vorsitzende des Energy and Commerce Committee kritisierte die Initiative der FCC scharf: „Die amerikanischen Breitbandnetze haben sich unter dem gegenwärtigen unbürokratischen Rechtsrahmen gut entwickelt. Die Investitionen in unsere Netze haben Rekordhöhen erreicht, was den Verbrauchern schnellere Geschwindigkeiten und niedrigere Preise beschert.“ Neu in der Debatte ist: Im Gegensatz zu früheren Versuchen wird im aktuellen Vorschlag die nationale Sicherheit als Dreh- und Angelpunkt für die Neuklassifizierung der ISP-Dienste herangezogen. „Lange Zeit war die Ausrede für alles, was in den USA unternommen wurde, die Terrorismusbekämpfung ... . Und jetzt sind China und Cybersicherheit die großen Rechtfertigungen für politische Maßnahmen“, hieß es vom Center for Strategic and International Studies. Dass die FCC damit ein Gebiet für sich reklamiert, auf dem diverse US-Sicherheitsbehörden schon länger tätig sind, könnte zu Problemen führen.

Wie geht es weiter?

Der seit einigen Wochen bekannte NPRM-Entwurf wurde in der öffentlichen Sitzung der fünf FCC-Kommissare am 19.10.2023 zur öffentlichen Konsultation per Mehrheitsentscheid (3 gegen 2) freigegeben. Die FCC sieht derzeit eine Frist für die Abgabe von Kommentaren bis zum 14.12.2023 sowie für Antwortkommentare bis zum 17.1.2024 vor. Realistischerweise wird es wohl Mitte 2024 werden, bevor die FCC-Regeln endgültig angenommen. Dann gäbe es einen US-weiten Standard für die Regulierung von Breitbandanbietern, der einzelstaatliche Netzneutralitätsregelungen überspielt, die es nach der Aufhebung der Open Internet Order seit 2019 gibt.

Zahlreiche Interessengruppen, Verbraucher und Unternehmen werden sich für die Wiedereinführung der Open Internet Order von 2015 einsetzen. Umgekehrt werden die großen Internetzugangsanbieter argumentieren, dass eine geringere Regulierung Infrastrukturinvestitionen anregt und Innovationen fördert. Es entstünden ihnen höhere Betriebskosten für die Bewältigung der unterschiedlichen Dienstniveaus, die zu höheren Gebühren oder zur Einführung gestaffelter Preismodelle führen. Wie immer die Sache ausgeht: Wahrscheinlich kommt es wieder zu einer Anfechtungsklage der FCC-Entscheidung beim zuständigen Berufungsgericht (dh dem D.C. Circuit, ggf. bis zum US Supreme Court). Verfahrensdauer: zwischen 12 und 18 Monaten. Die Berufung auf nationale Sicherheitsbedenken könnte es der FCC ermöglichen, vor Gericht Argumente zu entkräften, dass auf dem Breitbandmarkt kein regulierendes Eingreifen erforderlich sei. Die republikanischen FCC-Kommissare meinen, dass die FCC vor Gericht Schiffbruch erleiden wird.

 

Washington DC, im November 2023

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