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Account-Sperren im Digitalen Gewaltschutzgesetz - Keine gute Idee

Daniel Holznagel ist Richter am LG Berlin.

MMR 2023, 643   Die Bundesregierung plant ein Gesetz gegen Digitale Gewalt (DigGewSchG). Im April 2023 hat das BMJ Eckpunkte vorgestellt. Im Herbst ist ein Referentenentwurf zu erwarten. Es soll u.a. die Möglichkeit gerichtlich angeordneter Account-Sperren eingeführt werden, damit sich Betroffene gegen notorische Rechtsverletzer (Online-Stalker, Hater-Trolle) besser wehren und die Sperrung des Täter-Accounts beantragen können. An dem Verfahren ist die Online-Plattform zu beteiligen, die die Sperre umzusetzen hat. Der Account-Inhaber darf anonym bleiben. Nach dem Vorschlag sollen Gerichte eine zeitlich begrenzte Account-Sperre anordnen, wenn wiederholte schwerwiegende APR-Verletzungen drohen, die von einem spezifischen Account ausgehen, und eine Account-Sperre verhältnismäßig ist.

Eingeschränkte Praktikabilität

Der Vorschlag ist von unrealistischen Erwartungen getragen und die Account-Sperre wird selten effektiv sein, denn der Hater meldet sich mit einem neuen Account an oder er macht mit seinen anderen Fake-Accounts weiter. Wirksam ist die Account-Sperre bei organisch gewachsenen Accounts mit zB vielen Followern, wo der Hater „etwas zu verlieren“ hat. Solche „wertvollen“ Accounts können mitunter toxisch sein, aber seltener sind diese Accounts Troll-Werkzeuge, von wo aus wiederholt eine bestimmte Person angegriffen wird. Und falls doch: Gerade bei „wertvollen“ Accounts wird eher bekannt sein, wer dahintersteckt, sodass man die Account-Sperre theoretisch gar nicht braucht.

Diese Probleme werden durchaus gesehen. Abhilfevorschläge scheinen aber nicht in Sicht: Man könnte die Umgehung der Sperre erschweren, was aber eine nicht gewollte Überwachungsmaschinerie erfordert, denn Plattformen müssten zB „Fingerabrücke“ von Nutzern erheben und mit den ausgeschlossenen Troll-Profilen abgleichen. Man könnte die Voraussetzungen für eine Account-Sperre senken (schon nach einmaligem Verstoß) - dies wird aber selten verhältnismäßig sein und birgt Missbrauchspotenzial. Das Anordnungsverfahren könnte kostenlos werden - dann aber zahlt der Steuerzahler, zudem würde das Missbrauchspotenzial noch einmal steigen.

Fragwürdige These von der Schutzlücke

Das BMJ begründet die vorgeschlagenen Account-Sperren mit einer vermeintlichen Schutzlücke, dass Betroffene von Persönlichkeitsrechtsverletzungen „nur unzureichende Möglichkeiten, ihre Rechte ... durchzusetzen ...“ hätten.

Theoretisch aber gibt es schon heute Instrumente: Strafverfolgung (inkl. Einziehung des Accounts auf Grundlage von § 74 StGB), Gewaltschutzgesetz (inkl. Verbot bestimmter Social-Media-Nutzungen) und Unterlassungsansprüche gegen Online-Plattformen (inkl. Verhinderung künftiger ähnlicher Angriffe). Zudem laufen zivilrechtliche Musterverfahren, die vertraglichen Ansprüchen auf Account-Sperren den Weg bereiten könnten: Nach den Community-Standards werden Wiederholungstäter ausgeschlossen - kann man das einklagen?

Vor allem: Der Digital Services Act (DSA) ermöglicht die Anordnung von Account-Sperren. Nach Art. 23 Abs. 1 DSA müssen Online-Plattformen die Accounts von Nutzern, die häufig offensichtlich rechtswidrige Inhalte verbreiten, vorübergehend aussetzen. Andernfalls kann sich der Nutzer an die nationale Aufsichtsbehörde wenden, Art. 53 DSA. Falls der Anbieter in einem anderen Mitgliedstaat sitzt, ist die dortige DSA-Aufsicht zuständig und die Beschwerde wird dorthin weitergeleitet. Die zuständige Behörde kann dann auf Grundlage von Art. 51 Abs. 2 lit. b DSA die Abhilfe, dh die Durchführung der Account-Sperre, anordnen.

Auch der Betroffene selbst kann die Account-Sperre wohl über Art. 54 DSA gerichtlich durchsetzen. Danach steht Nutzern bei Verletzung von DSA-Pflichten ein Schadensersatzanspruch gegen die Plattform zu. Konsequent wäre, dass ein betroffenes Stalking-Opfer zB dann die Vornahme der unterlassenen Handlungspflicht (Account-Sperre!) als Naturalrestitution verlangen kann (vgl. Hofmann/Raue, DSA, Komm., DSA Art. 54 Rn. 52). Da der DSA in § 2 UKlaG aufgenommen werden soll (§ 2 Abs. 2 Nr. 57 UKlaG-E, BT-Drs. 20/6520), stünde auch die Verbandsklage offen (dann wohl unabhängig von der Verletzung subjektiver Rechte, zB notorische Holocaust-Leugner).

Soweit die Theorie. Die gravierenden praktischen (!) Probleme der Rechtsdurchsetzung für Hassopfer (Aufwand und psychische Belastung, Kosten-Nutzen-Verhältnis, kaum monetäre Kompensation) werden auch die Account-Sperren nicht lösen.

Konflikt mit dem DSA

Nationale Plattformregulierung bleibt neben dem DSA nur möglich, wenn sie einem anderen berechtigten öffentlichen Interesse dient, Erwägungsgrund 9 DSA. Ein „anderes“ Interesse an der Account-Sperre nach DigGewSchG einerseits und Art. 23 Abs. 1 DSA andererseits lässt sich kaum ausmachen. Die Befürworter der nationalen Account-Sperren haben dieses Dilemma kommen sehen und sich von Ukrow/Cole hierzu ein Gutachten („Der EU Digital Services Act und verbleibende nationale (Gesetzgebungs-)Spielräume“) erstellen lassen. Eine Überschneidung mit dem DSA wird dort - wortkarg und wenig überzeugend - verneint: Bei Art. 23 DSA ginge es nur um die „Einhegung der ... Möglichkeiten zur Account-Sperre“. Das ist falsch: Einhegungen der Plattformbefugnisse ergeben sich aus Art. 14 DSA. Art. 23 DSA begründet Pflichten (Hofmann/Raue, DSA, Komm., DSA Art. 23 Rn. 9). Zudem argumentieren Ukrow/Cole, dass Art. 23 DSA „keinen Anspruch für betroffene Individuen“ hergeben würde, „eine gerichtliche Anordnung zu erreichen“. Auch dies ist falsch (s.o. zu Art. 54 DSA).

Rechtspolitischer Irrweg

Die geplanten Account-Sperren sind sogar kontraproduktiv. Zum einen könnten die Gerichte von der Pflicht (!) zur Account-Sperre im DigGewSchG auf ein gesetzliches Leitbild schlussfolgern und damit (fehlerhaft) auch Grenzen für die Befugnisse (!) der Plattformen herleiten, wann sie Accounts - unabhängig von einer Pflicht hierzu - suspendieren dürfen. Vor allem aber ist der konstitutive Richtervorbehalt rechtspolitisch ein falsches Signal: Online-Plattformen erklären gerne, dass sie nicht selbst entscheiden könnten und nicht selbst entscheiden sollten, was zu löschen und zu sperren ist. Dieses Narrativ bildet seit Jahrzehnten das Grundrauschen des Plattform-Lobbyismus und dient u.a. dazu, die eigene Verantwortung zu relativieren. Zum Glück wird die Argumentation inzwischen hinterfragt: Natürlich müssen die Plattformen selbst Entscheidungen treffen, wann - bei entsprechenden Hinweisen - Missbräuche abzustellen sind. Können sie dies nicht, so sollte das nicht zu Lasten von Hassopfern gehen, sondern dann bedarf das Geschäftsmodell einer Rekalibrierung: Nicht nur Programmierer müssen her, sondern auch große Rechtsabteilungen und starke Safety-Teams! Und nun führt Deutschland mit dem DigGewSchG einen Richtervorbehalt ein? Ein Traum für BigTech - denn so bestätigt der Gesetzgeber das Narrativ, dass die Plattformen die originäre Entscheidung bei der Content-Moderation eben nicht selbst übernehmen sollten (zur Klarstellung: eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung ist immer gegeben und steht nicht in Frage). Auch der DSA sieht einen Richtervorbehalt nur bei Abschaltung ganzer Plattformen vor, Art. 51 Abs. 3 lit. b DSA.

 

Wie konnte es so weit kommen?

Die Idee zu den Account-Sperren stammt aus der Zivilgesellschaft (Buermeyer, Hass und Hetze im Netz: Was man statt einer Klarnamenpflicht tun könnte, Tagesspiegel v. 21.6.2019) und diente vor allem als Gegenentwurf zur Forderung nach Identifizierungspflichten: Temporäre Account-Sperren statt Stärkung der Täterermittlung (zB Identifizierungpflicht) - obgleich ein Gericht Stalking festgestellt haben wird - die „good intentions“ der Zivilgesellschaft werden zur behaglichen Firewall für Hater und Trolle. Wieso hat die Ampelkoalition das Vorhaben aufgegriffen? Die Vermutung liegt nahe: Weil es gut klingt. Die politische Agenda kann man damit aufpeppen. Buzzwords statt „Ärmel hochkrempeln“. Die wirklich wichtigen, aber mühsamen Aufgabenstellungen kann man dann leichter ausblenden: Fähigere Justiz, Spezialisierung in den Staatsanwaltschaften sowie Polizeidienststellen, Förderung von Betroffenenberatung und Medienkompetenz, starke DSA-Aufsicht und Kooperation im EU-Aufsichtsverbund (die NetzDG-Zeiten sind vorbei, von nun an gilt es, Irland und die EU-Kommission zum Einschreiten zu bewegen).

Vorschläge

De facto werden die Gerichte Account-Sperren wohl bereits über Art. 54 DSA anordnen können, was eventuell erleichtert werden könnte (Streitwertdeckelung? Eilrechtsschutz als Regelfall?). Daneben sollte Deutschland den Gestaltungsspielraum nach Art. 51 Abs. 6 DSA nutzen, um die behördliche Anordnung von Account-Sperren stark zu machen. ZB durch Ausgestaltung als gebundene Ermessensentscheidung. Derzeit plant die Bundesregierung für die Durchsetzung des DSA ein „freies“ Behördenermessen (vgl. § 202 Abs. 2 TKG iVm § 26 Hs. 1 im Referentenentwurf eines „Digitale-Dienste-Gesetz (DDG)“ des BMDV v. 1.8.2023). Sitzt der Anbieter im EU-Ausland, könnte die deutsche DSA-Aufsicht verstärkt auf ein Einschreiten der Sitzlandbehörde hinwirken (zB durch regelmäßige statt nur optionale Stellungnahme gegenüber der Sitzlandbehörde, vgl. Art. 53 S. 2 DSA). Viele weitere kleinteilig-technokratische Ansätze sind denkbar (und hier aus Platzgründen nicht darstellbar). Auf ein völlig neues nationales Instrument zur Account-Sperre iSd BMJ-Vorschlags sollte der Gesetzgeber jedenfalls lieber verzichten.

 

Berlin, im September 2023

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