RA Jan Christopher Kalbhenn, LL.M. (Amsterdam), ist Geschäftsführer des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM) – öffentliche-rechtliche Abt., Universität Münster, und Lehrbeauftragter an der FH Münster School of Design.
Torsten Kraul (Hrsg.), Das neue Recht der digitalen Dienste, Digital Services Act (DSA), Baden Baden (Nomos) 2023, ISBN 978-3-8487-8795-1, 59 EUR
MMR-Aktuell 2023, 01013 Das deutsche Medienrecht hat 2017 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz und 2020 mit dem Medienstaatsvertrag zwei Regelwerke hervorgebracht, die im Bereich der Regulierung sozialer Netzwerke weltweit Standards gesetzt haben. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz statuierte die Pflicht sozialer Netzwerke, bestimmte strafbare Inhalte schnell zu löschen, der Medienstaatsvertrag führte eine Reihe von Transparenzpflichten für soziale Netzwerke ein. Beide Gesetze sind auf Kritik gestoßen. Der am 16.11.2022 in Kraft getretene Digital Services Act (DSA), eine Weiterentwicklung der bekannten E-Commerce-Richtlinie, wendet die zentralen Regelungen des deutschen digitalen Medienrechts nun als EU-Verordnung in allen Mitgliedstaaten verbindlich an. Der DSA hat aber einen wesentlich breiteren Ansatz und Anwendungsbereich und soll für einen besseren Nutzer- und Grundrechtsschutz im Internet sorgen. Höchste Zeit also für ein fundiertes Überblickswerk.
Ein kleines Autorenteam aus der Anwaltschaft um den Herausgeber Kraul hat dies nun mit „Das neue Recht der digitalen Dienste“ vorgelegt. Das Werk versteht sich als erste Gesamtdarstellung und soll einen praxisorientierten Einstieg in das neue Regelungswerk bieten. Diesem Anspruch wird das Buch gerecht. In fünf Kapiteln wird der Leser in den DSA eingeführt. Nach einer kurzen Einleitung, in der der DSA in die europäische Digitalstrategie eingeordnet wird, und einem Kapitel zum Anwendungsbereich wird im dritten Kapitel das abgestufte Haftungsregime des DSA erläutert.
Kernstück des Buchs ist das Kapitel zu den Sorgfaltspflichten von Vermittlern. Das Kapitel ist nach den Normen des DSA gegliedert und liest sich wie ein Kurzkommentar. Während einige Pflichten (Art. 11-15 DSA) für alle Dienste gelten, wie etwa die Einrichtung einer Kontaktstelle, sind weitergehende Pflichten für Hosting-Anbieter (Art. 16-18 DSA), für Online-Plattformen (Art. 19-28 DSA) und für Online-Handelsplattformen (Art. 29-32 DSA) normiert. Den größten Pflichtenkatalog legt der DSA den sehr großen Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen auf. Für diese ist nach Art. 34 und 35 DSA eine jährliche Risikobewertung durch einen unabhängigen Prüfer vorgeschrieben. Für die dabei identifizierten Risiken müssen risikomindernde Maßnahmen ergriffen werden. Stellt sich zB heraus, dass ein soziales Netzwerk durch die Programmierung seiner Empfehlungsalgorithmen die Verbreitung von Desinformation begünstigt, müssen diese Algorithmen entsprechend angepasst werden. Hier wäre es schön gewesen zu erfahren, wie sich der Risikominderungsmechanismus zu den sog. Verhaltenskodizes verhält, von denen es im Bereich der Desinformation zB bereits den Code of Practice on Disinformation gibt.
Weitgehend überholt ist das letzte Kapitel, das sich mit der Durchsetzung des Kodex beschäftigt. Eine zentrale Rolle kommt dabei den nationalen Koordinatoren für digitale Dienste zu. Der Entwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes, mit dem die Bundesnetzagentur mit dieser Aufgabe betraut werden soll, wurde allerdings erst einige Monate nach Erscheinen des Bands veröffentlicht.
Damit sind die Vor- und Nachteile des Buchs bereits benannt. Den Autoren gelingt ein gut verständlicher Einstieg in eine hochkomplexe und dynamische Rechtsmaterie. Da sich in diesem Bereich aber sehr viel tut, wird der Leser nach dem Einstieg nicht umhin kommen, sich aktuelle Informationen zu beschaffen. Eine Vertiefung wird dann durch die angekündigten Kommentare erfolgen müssen.