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USA und Regulierung: Im Westen nichts Neues? - Stimmt nicht

Dr. Axel Spies ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Morgan, Lewis & Bockius in Washington DC und Mitherausgeber der MMR.

MMR 2023, 163   Breitbandausbau und Datenschutzfragen - das sind beherrschende Themen in Europa. Auch in den USA stehen diese Themen weit oben auf der politischen Agenda. In seiner Rede zur Lage der Nation sagte US-Präsident Biden am 7.2.2023: „Es ist an der Zeit, ein parteiübergreifendes Gesetz zu verabschieden, das Big Tech daran hindert, personenbezogene Daten von Kindern und Jugendlichen im Internet zu sammeln, das gezielte Werbung für Kinder verbietet und das die von Unternehmen über uns alle gesammelten personenbezogenen Daten strenger regelt.“ Eine starke politische Aussage vor einem politisch geteilten Kongress, aber zunächst ist der US Supreme Court am Zuge.

Vor dem Supreme Court: Haften Plattformbetreiber für Inhalte?

Höchste mediale Aufmerksamkeit zieht der Rechtsstreit Gonzales vs Google vor dem US Supreme Court auf sich. Auf dem Prüfstand steht die aus den 1990er Jahren (Communications Decency Act) stammende Vorschrift 47 U.S. Code § 230. Diese Vorschrift besagt, dass die Betreiber von Plattformen nicht für die Inhalte verantwortlich sind, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden (mit wenigen Ausnahmen, zB bei Kinderpornografie). Die Kläger in dem Rechtsstreit sind Eltern einer Austauschschülerin, die 2015 von IS-Terroristen bei Anschlägen in Paris getötet wurde. Sie tragen vor, dass der Algorithmus, welcher Nutzern Vorschläge unterbreitet, Inhalte der Terrorgruppe verbreitet hätte. Sie verlangen daher eine Haftung der Plattformbetreiber für diese Verbreitung der Inhalte, die eigentlich von Section 230 ausgeschlossen ist. Das ist (auch) ein politisch heißes Thema: Die Republikaner monieren, dass die Regelung den Plattformbetreiber zu viel Freiraum bei der Moderation von Inhalten gäbe, während die Demokraten eine Haftung der Plattformbetreiber für bestimmte Inhalte befürworten.

Die über zwei Stunden andauernde mündliche Verhandlung am 21.2.2023 - normalerweise gibt das Gericht den Parteien gerade mal 30 Minuten Zeit - wurde mit Spannung von vielen Medien mit Liveblogs verfolgt. Richter Kavanaugh machte deutlich, dass er den Kongress in der Pflicht sieht, die Regelung anzupassen. Richterin Kagan brachte die Schwierigkeiten des Gerichts so auf den Punkt: „Wir sind ein Gericht. Wir haben wirklich keine Ahnung von diesen Dingen. Wir sind nicht die neun besten Experten des Internets.“

Am Tag darauf dann der zweite Rechtsstreit vor dem höchsten US-Gericht: Twitter vs Taamneh. Hier ging es um das Hosting von Inhalten von IS-Terroristen und einer Haftung von Plattformbetreibern unter dem Anti-Terrorism Act (speziell 18 U.S.C. § 2333). Auch in diesem Verfahren dauerte die mündliche Verhandlung mit drei Stunden ungewöhnlich lange. Im Kern geht es ähnlich wie am Tag zuvor um die Anforderungen an Maßnahmen von Plattformbetreibern gegen Inhalte von Terrororganisationen aktiv vorzugehen - auch wenn die Plattformbetreiber nicht für den konkreten Anschlag verantwortlich sind. Die wegweisenden Gerichtsentscheidungen des Supreme Court werden für Juni 2023 erwartet.

US-Breitbandausbau mit Hindernissen

Beim Thema Breitbandausbau gleichen sich in Europa und den USA die zu überwindenden Schwierigkeiten. Im November 2021 wurde der Infrastructure Investment and Jobs Act (IIJA) verabschiedet (näher dazu Spies MMR 2022, 1). Dieser sieht eine Förderung des Breitbandausbaus in den USA mit insgesamt 65 Mrd. USD vor. Der Großteil davon (42 Mrd. USD) fällt unter das sog. Broadband Equity, Access and Deployment (BEAD) Programm. Die Fördersumme wird an die Bundesstaaten auf Grundlage einer Formel verteilt, die maßgeblich auf der Anzahl von unversorgten (weniger als 25 Mbit/s Download) und unterversorgten Gebieten (weniger als 100 Mbit/s Download) basiert. Bestimmte Gemeinschaftseinrichtungen sollen mit 1 Gbit/s Downloadgeschwindigkeit versorgt werden. Das ist angesichts der Größe der USA ambitioniert.

Für die Verteilung des Geldes zwingend erforderlich sind detaillierte Breitbandkarten, die von der Federal Communications Commission (FCC) erstellt werden (Spies MMR-Aktuell 2022, 450365). Eine Herkulesaufgabe: Manche TK-Anbieter haben einerseits der FCC weniger unter- und unversorgte Gebiete angegeben als tatsächlich vorhanden sind, u.a. um ihre Reputation und Ausbauverpflichtungen zu wahren. Andererseits haben wohl viele Bundesstaaten in der Hoffnung auf eine größere Fördersumme zu viele solcher Gebiete ausgewiesen. Teilweise haben die Bundesstaaten auch selbst schon solche Breitbandkarten erstellt, die zB im Falle des Bundesstaates New York wesentlich genauer sind. Die FCC muss derweil mehrere zehntausend Einwendungen abarbeiten, die nach der Veröffentlichung der Entwürfe bei ihr eingegangen sind.

Führungspersonal in den Bundesbehörden - Patt bei der FCC und Querelen bei der FTC

Die Umsetzung der Breitbandvorhaben wird dadurch erschwert, dass die Leitungsgremien der FCC und der Federal Trade Commission (FTC) politisch besetzt sind. Bei der FCC, die von fünf Kommissaren geleitet wird, ist ein Sitz weiter vakant, denn es fehlt die Bestätigung einer Personalie durch den US-Senat. US-Präsident Biden schlug die ehemalige FCC-Beraterin Sohn vor, die als bekannte Unterstützerin für Netzneutralität und andere Reformvorhaben der Demokraten gilt. Es gelang ihm vor den Zwischenwahlen im November 2022 jedoch nicht, diese Besetzung durchzusetzen. Nachdem die Demokraten ihre Mehrheit im Senat bei den Zwischenwahlen verteidigen konnten, hat Präsident Biden Sohn im Januar 2023 erneut nominiert. Ob dieser zweite Anlauf Erfolg hat, muss sich noch zeigen.

Personalpolitische Querelen gibt es auch in der nicht weniger bedeutenden FTC, die u.a. als Verbraucherschutzbehörde agiert. Die republikanische FTC-Kommissarin Wilson kündigte kürzlich ihren baldigen Rücktritt an und begründete dies mit einem angeblichen Machtmissbrauch durch die junge demokratische Vorsitzende des Leitungsgremiums, Khan. Wilson ist nach dem Rücktritt von Kommissar Phillips die letzte verbliebene Republikanerin im Leitungsgremium der FTC. Auch für Phillips wurde noch keine Nachfolge nominiert. Konkret warf Wilson der Vorsitzenden vor, Rechtsstaatlichkeit und die Regelungen über ein ordnungsgemäßes Verfahren zu missachten. Khan hätte die Macht im Amt der Vorsitzenden gebündelt und damit einen jahrzehntelangen parteiübergreifenden Konsens gebrochen. Nach dem Rücktritt sind im FTC-Leitungsgremium nur noch drei von fünf Sitzen besetzt. Die Behörde bleibt aber grundsätzlich bis auf Weiteres handlungsfähig, da das Quorum erfüllt ist.

Nationale Sicherheit im Telekommunikationssektor - eine Sorge mehr

Wie in Europa besteht in Washington eine wachsende Sorge über nationale Sicherheit im TK-Sektor. Insbesondere vor dem Hintergrund der russischen Invasion in die Ukraine und damit verstärkt einhergehender Cyberattacken besteht weiter die Gefahr einer ausländischen Infiltration von US-TK-Netzen und Social-Media-Netzwerken. Weitere Beschränkungen des Exports von US-Hochtechnologie in unfreundliche Staaten sind ebenso in der Diskussion wie Zugangsbeschränkungen zum US-Markt für bestimmte ausländische Anbieter. Die von der US-Behörde OFAC aktiv durchgesetzten strengen US-Sanktionen gegen Russland haben ohnehin weltweite Auswirkungen.

EU/US-Datentransfer: Warten auf Brüssel

Schließlich wird bei vielen Europa zugewandten Politikern, Gremien und Verbänden hier in Washington genau verfolgt, ob und wann die EU-Kommission die Regeln des mit Brüssel zäh verhandelten Transatlantic Data Privacy Framework (vgl. Dehmel/Ossmann-Magiera/Weiß MMR 2023, 17) gem. Art. 45 DS-GVO für „angemessen“ erklärt werden. Um den Anforderungen gerecht zu werden, hat Präsident Biden nach Verhandlungen mit den Europäern am 7.10.2022 eine Executive Order erlassen (Spies ZD 2021, 478; Roßnagel ZD 2022, 305). Die kürzlich bekannt gewordene Pauschalkritik des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments (Entwurf) gegen die Executive Order im Speziellen und das US-Überwachungsrechts im Allgemeinen stößt hier in Washington eher auf Unverständnis. Im Ergebnis herrscht aber Gelassenheit vor, weil eine entsprechende Resolution des Europäischen Parlaments keine bindende Wirkung hat.

Manches ist gleich, manches anders

Manche Probleme ähneln sich - auch hier in den USA wird händeringend nach Fachkräften für den TK-Sektor gesucht. Die Erstellung verlässlicher Breitbandkarten ist ebenfalls ein schwer zu lösendes Problem. Ein weiteres aktuelles Thema - für beide - sind die Maßnahmen gegen Russland und andere „unfreundliche“ Staaten. Ansätze zum Protektionismus gibt es auf beiden Seiten: östlich vom Atlantik bei der Diskussion über die „europäische (digitale) Datensouveränität“ (Spies ZD-Aktuell 2022, 01319 und Roßnagel MMR 2023, 64) und die bekannten rechtlichen Schwierigkeiten beim Datenaustausch mit den USA. Westlich vom Atlantik zeigt sich Protektionismus eher bei den Regeln der „Buy American“-Gesetze (näher Spies MMR 9/2009, V), welche die Regierung verpflichten, bei bestimmten Projekten vorzugsweise auf in den USA hergestellte Produkte zurückzugreifen. Der genannte IIJA enthält solche Build America, Buy America(BABA)-Klauseln. Von diesem Gesetzänderungsvorhaben sind u.a. die staatlichen Förderungen iHv 42,5 Mrd. USD aus dem Broadband Equity, Access, and Deployment (BEAD) Programm betroffen. In Brüssel sorgen diese die EU-Investoren direkt betreffenden Beschränkungen für viel Aufregung. Aber zumindest redet man darüber miteinander.

Washington, im März 2023

 

 

 

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