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18. Frankfurter Medienrechtstage – Journalismus in Zeiten des Krieges

Inga Hengst ist Wissenschaftliche Hilfskraft an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O.

MMR-Aktuell 2023, 455251    Zunächst war ein anderes Thema für die 18. Frankfurter Medienrechtstage angesetzt. Dann überfiel Russland die Ukraine und überzieht seitdem die junge Republik mit einem brutalen Krieg, an dessen Ende die Eingliederung des unabhängigen Landes stehen soll. Grund genug für Prof. Dr. Johannes Weberling, Professor für Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina, die 18. Frankfurter Medienrechtstage vom 13. bis 14.7.2022 unter das Thema „Journalismus in Zeiten des Krieges“ zu stellen. Der Krieg in der Ukraine werfe grundlegende Fragen zum Zugang zu gesicherten Informationen und Sicherheit von Journalisten auf, die es in einem wissenschaftlichen Rahmen einzuordnen gelte, sagte Weberling bei der Eröffnung der Medienrechtstage in Frankfurt/O., die in bewährter Zusammenarbeit der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O. mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Südosteuropa-Gesellschaft veranstaltet und durch die Märkische Oderzeitung unterstützt wurden. 

I. Eröffnung

Prof. Dr. Claudia Weber, Präsidiumsmitglied der Südosteuropa-Gesellschaft, lenkte den Blick auf den Balkan und gab dem Publikum einen kurzen Eindruck der geopolitischen Situation.  Die ganze Region sei seit geraumer Zeit aus dem Blick Westeuropas geraten und die bedrohte Sicherheitslage ignoriert worden.

II. Hintergrund und Entstehung russischer Kriegspropaganda

Das erste Panel beschäftigte sich mit der Frage, wie der Krieg durch Russland in der Vergangenheit propagandistisch vorbereitet worden ist und auf welche Reaktionen das traf.

Prof. Dr. Jan C. Behrends, Historiker an der Europa-Universität und dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung, legte dar, das schon lange vor der Machtübernahme Putins ein illiberaler Weg beschritten worden sei. Methoden der Wahlfälschung, Militarisierung und Kult des „großen Vaterländischen Krieges“ unter Jelzin zeigten, dass Putin „eher als Resultat der 1990er-Jahre” zu verstehen sei.

Diesen autoritären Wandel hätten kritische russische Stimmen schon seit Jahrzehnten angezeigt, erzählte Marieluise Beck vom Zentrum Liberale Moderne aus persönlichen Erfahrungen. Und trotzdem: „Es gab in Deutschland keine Bereitschaft, sich mit diesen Tendenzen auseinanderzusetzen ..., weil man es nicht anders wollte.”

Prof. Dr. Arnd Bauerkämper, Historiker der Freien Universität Berlin, erläuterte das Agieren des Kremls als Verbreitung einer spezifischen, nationalheroischen Gedächtnispolitik, um innere und äußere Feinde zu delegitimieren. Er sprach auch von ukrainischem Nationalismus, der allerdings nur von 2% der Ukrainer geteilt werde, aber durch Russland propagandistisch ausgenutzt werde, sowie von einer geschichtlichen Demütigung Russlands durch die NATO-Staaten.

In der Diskussion kritisierte Beck diese Einschätzung. Die Wahlergebnisse zeigten weitaus stärkeren Nationalismus in Deutschland als in der Ukraine. Behrends stimmte dem zu und widersprach auch der besonderen Demütigung. Auch müsse von Geschichtspropaganda statt Gedächtnispolitik und russischem Imperialismus statt Nationalismus gesprochen werden. Es würde immer wieder der Ukraine der Souveränitätsanspruch verweigert und die Westbindung Deutschlands infrage gestellt. Bezeichnend für diese Haltung sei, dass es in Deutschland keinen emphatischen Freiheitsbegriff gebe, weil keine historische Erfahrung eines erfolgreichen Freiheitskampfs bestehe.

III. Seriöse Berichterstattung gegen Kriegshetze? – Wie begegnet man Propaganda? 

Prof. Dr. Julia von Blumenthal, Präsidentin der Viadrina, unterstrich in ihrer Begrüßung am zweiten Tag der Veranstaltung, wie schwierig es aktuell sei, die Qualität von Quellen zu beurteilen.

Der Historiker Dr. Christian Booß widmete sich in seinem Vortrag der Überprüfbarkeit von Nachrichten und ärgerte sich über Sätze wie „Diese Nachricht konnte nicht unabhängig überprüft werden”, denn es sei technisch vielfach durchaus möglich, den Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Er habe die Berichterstattung teilweise nachrecherchiert und kritisierte insbesondere die deutschen Medien für schlechte Recherche, was gefährliche Folgen haben könne. Die Kritik an deutschen Medien teilte David Crawford. Eindrücklich beschrieb er seine langwierigen Recherchen als investigativer Journalist. Die Strukturen der deutschen Medienlandschaft und der Zeitdruck in den Redaktionen ließen oft zeitintensive, tiefgehende Recherchen nicht zu.

Wie Kriegshetze und Propaganda gezielt aufgebaut und verbreitet werden können, zeigte Medienwissenschaftler Prof. Dr. Johannes Ludwig anhand von Beispielen im I. und II. Golfkrieg. Auch große Medien hätten häufig Schwierigkeiten, Falschmeldungen zu identifizieren.

Eine Stelle, die sich gerade darauf spezialisiert, ist die Fakten-Check-Redaktion der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Redaktionsleiterin Teresa Dapp stellte deren Vorgehen vor. Dabei wird einzelnen, verbreiteten Thesen vor allem durch technische Möglichkeiten nachgegangen. So könnten Hinweise zu Falschmeldungen auf Plattformen sichtbar gemacht werden. Die Gesellschaft könne so über Desinformationskampagnen aufgeklärt werden und an Medienkompetenz gewinnen.

Von anderen Reaktionen in Osteuropa berichteten Zuzana Kleknerová, Journalistin und Medienmanager in Prag, und Dr. Ivo Indzhov, Medienforscher von der Universität Veliko Tarnovo, Bulgarien. Aus Moskau würden systematisch Zweifel in demokratische Institutionen gestreut, die das Vertrauen der Bürger in die demokratische Staatsform erschüttern sollten. Die großen tschechischen Medien träten dem jedoch entgegen. In Bulgarien würden dagegen prorussische Propaganda und Falschmeldungen in den öffentlich-rechtlichen Medien als „alternativer Standpunkt” bezeichnet. Große Teile des Volkes seien traditionell russlandfreundlich, kritisierte Indzhov.

IV. Kriegsberichterstattung während der russischen Invasion der Ukraine

In einem weiteren Panel berichteten Journalisten von ihrer Arbeit vor Ort im Kriegsgebiet.  Als am 24.2.2022 der Krieg begann, befand sich Gerhard Gnauck, Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in Kiew. Als Osteuropakorrespondent schilderte er auch eigene Unsicherheit mit der Situation, die dagegen für Jan Jessen, u.a. Auslandsreporter und Kriegsberichterstatter der Funke-Mediengruppe, nicht neu war. Man müsse mit der Unsicherheit umgehen lernen, ob etwa Opfer von Kriegshandlungen immer die Wahrheit sagten oder vielleicht auch übertreiben würden. Dürfe man das als Journalist in Zweifel ziehen, sei es überprüfbar?

Mit den Geschehnissen unmittelbar konfrontiert ist Maria Shikolay. Die junge ukrainische Journalistin bearbeitet als Redakteurin und Übersetzerin bei KATAPULT Recherchen ukrainischer Journalisten. Da sie aus Donezk kommt, sei sie seit 2014 mit Kriegshandlungen und deren Darstellung konfrontiert. Shikolay sprach auch von einer großen Differenz der Berichterstattung in der Ukraine und Deutschland. In der Ukraine würde die Abwägung zwischen möglichst viel Neutralität und dem Problematisieren der Angriffe anders ausfallen. Es gebe weniger Zurückhaltung bei der Benutzung deutlicher Worte.

Die deutsche Lokalbevölkerung in Brandenburg reagiere auch mit viel Unverständnis und Ablehnung gegenüber der Situation der ukrainischen Betroffenen, erklären Nancy Waldmann, Journalistin der Märkischen Oderzeitung. Viele Menschen hätten ein konkretes, nicht feindliches Bild von Russland. Die Ukraine dagegen sei für sie sehr abstrakt.

Zur Frage, ob die Empathie in Deutschland für die Ukraine gewachsen sei, weist Gnauck auf die kurze kollektive Aufmerksamkeitsspanne hin - nach 2014 seien auch die Kämpfe um die Krim aus den Köpfen verschwunden. Waldmann bestätigt dies. In Polen gälten ukrainische Soldaten als Helden, die sich gegen einen Überfall wehren, in Deutschland als Opfer, die „unschuldig” bleiben sollten.

V. Optionen zum völkerrechtlichen Schutz von Journalisten im Kriegsgebiet

Im letzten Panel wurde über den möglichen rechtlichen Schutz von Journalisten in bewaffneten Konflikten diskutiert.  

Anne Fock, Akademische Mitarbeiterin an der Viadrina, erläuterte das humanitäre Völkerrecht als Grundlage für den Schutz von Journalisten. Der Schutzstatus von Journalisten in Kriegsgebieten sei nach dem Recht der Genfer Konventionen grundsätzlich der von Zivilpersonen. Rechtsunsicherheit ergäbe sich allenfalls durch definitorische Unterschiede. Wer eine Akkreditierung bei den Streitkräften aufweisen könne, genieße bei Festnahme weitreichenderen Schutz aus den Rechten als Kriegsgefangener. Das Verbreiten von Propaganda könne jedenfalls nicht als Kriegshandlung verstanden werden. Die Grundsätze des humanitären Völkerrechts seien ein solider Rahmen, die eigentlichen Probleme lägen in der Umsetzung.

Akzessorisch zum humanitären Völkerrecht sind Kriegsverbrechen aus dem Völkerstrafrecht. Hierauf ging Prof. Dr. Gudrun Hochmayr, Professorin für Strafrecht an der Viadrina, ergänzend ein. Für die Verfolgung von Straftaten gelte: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ermittele, wenn die Mitgliedstaaten nicht willens oder in der Lage dazu seien. Von einer Vielzahl an Fällen könne der Generalbundesanwalt aber nur wenige zur weiteren Aufklärung auswählen. Seit März 2022 gebe es nun ein Strukturermittlungsverfahren zur Ukraine. So sollten massenhaft Zeugenaussagen und Daten gesammelt werden, um gezielt anklagen zu können. Im Sinne der antizipierten Rechtshilfe seien die Mitgliedstaaten angehalten, andere oder den IStGH bei der Verfolgung in den jeweiligen Staaten zu unterstützen. Problematisch sei, dass es trotz drohender Grundrechtseingriffe dafür aber keine ausreichende gesetzliche Grundlage gebe.

Wiederum einen praktischen Einblick gab Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Seine Organisation habe unzählige Angriffe auf Journalisten und Medienhäuser systematisch dokumentiert und beim IStGH angezeigt. Er mache sich keine Illusionen über die wenigen Anzeigen, die vom IStGH bearbeitet würden. Sie entfalteten aber auch öffentliche Sichtbarkeit.

Einen konkreten rechtlichen Vorschlag unterbreitete Prof. Dr. Johannes Weberling. Die wenigen Verfahren zeigten: es reiche nicht aus, ein paar Stellen beim Generalbundesanwalt aufzustocken.  Vielmehr müsse eine Zentrale Ermittlungsgruppe für Kriegsverbrechen in der Ukraine nach dem Vorbild der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter (ZESt), welche seinerzeit Straftaten in der DDR dokumentiert hatte, geschaffen werden, die zur Ermittlung der Verantwortlichen von Kriegsverbrechen in der Ukraine und zur Vorbereitung einer späteren Strafverfolgung nach dem VStGB in Deutschland Beweise sammeln. Nach den mit der ZESt Salzgitter gemachten Erfahrungen dürfte das schon heute zur Mäßigung bei verantwortlichen militärischen Vorgesetzten führen und zudem dem Völkerrecht Achtung verschaffen. 

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