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Editorial JA 7/2021

Von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg | Jun 18, 2021

Anklage im Namen der Europäischen Union – Die Europäische Staatsanwaltschaft hat ihre Arbeit aufgenommen


Seit 1.6. 2021 arbeitet als erste supranationale Staatsanwaltschaft die Europäische Staatsanwaltschaft. Durch Korruption und Betrug soll kein Euro des EU-Haushalts mehr verloren gehen!

Nach jahrelangen Verhandlungen und viel Kritik war es jetzt endlich soweit: Am 1.6. 2021 hat die insbesondere von Deutschland und Italien politisch vorangetriebene Europäische Staatsanwaltschaft (EuStA) in 22 Staaten ihre Arbeit aufgenommen! Wie nicht anders zu erwarten, gab es noch kurz vor dem Startschuss Streit; diesmal mit der slowenischen Regierung, der aberhoffentlich bald vergessen sein wird. Nicht beteiligt an diesem Projekt sind Dänemark, Irland, Polen, Schweden und Ungarn, die der EuStA aber jederzeit beitreten können. Nichtbeteiligte Mitgliedstaaten können mit der EuStA – so wie bisher die einzelnen Mitgliedstaaten untereinander – zusammenarbeiten.
Die EuStA ist eine EU-primärrechtlich nach Art. 86 AEUV gegründete und seitdem sekundärrechtlich auf der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12.10. 2017 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA) fußende unabhängige Einrichtung der Europäischen Union zur grenzübergreifenden Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, insbesondere Umsatzsteuerbetrug, Bestechung, Veruntreuung, Geldwäsche im Zusammenhang mit gegen den EU-Haushalt gerichteten Betrugsdelikten und die Mitwirkung an einer kriminellen Vereinigung, die Straftaten zum Nachteil des EU-Haushalts begeht. Bei Unregelmäßigkeiten und Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU wird weiterhin in allen EU-Ländern das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) administrative Untersuchungen führen. Das OLAF wird dabei die EuStA konsultieren und sich mit ihr abstimmen. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten gewährleistet einen besseren Schutz des EU-Haushalts als bisher.

Durch kriminelles – häufig organisiertes – Umgehen nationaler und europäischer Vorschriften entstehen zum Nachteil finanzieller Interessen der Union jedes Jahr Schäden in Milliardenhöhe. So meldeten die nationalen Behörden im Jahr 2018 Betrug zulasten des EU-Haushalts in Höhe von 1.197 Mio. EUR – Mehrwertsteuerbetrug nicht mitgerechnet. Und aktuelle EU-Corona-Hilfen im Umfang von 750 Mrd. EUR unterstreichen wie wichtig es ist, dass diese Hilfen da ankommen, wo sie hingehören und nicht in den Taschen pfiffiger Krimineller landen.

Zentraler Sitz der EuStA auf EU-Ebene ist Luxemburg, von wo aus die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen in den teilnehmenden EU-Ländern zur Gewährleistung einer unabhängigen, wirksamen Koordinierung und eines einheitlichen Ansatzes beaufsichtigt werden. Die 22 Luxemburger Staatsanwältinnen und Staatsanwälte arbeiten in sog. Ständigen Kammern, die aus jeweils drei Mitgliedern bestehen. Diese Kammern entscheiden über die Frage, ob ein Verfahren zu Gericht gebracht oder eingestellt wird. Vor allem leiten diese Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auf dezentraler Ebene die delegierten europäischen Staatsanwälte in den beteiligten Mitgliedstaaten bei ihren Ermittlungen an. In Deutschland sind 11 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (insgesamt sind es derzeit 88) – verteilt auf die fünf Zentren Berlin, Frankfurt a.M., Hamburg, Köln und München – tätig. Über den neuen § 143 IV GVG erstreckt sich die Zuständigkeit der delegierten Staatsanwälte auf das gesamte Bundesgebiet. Erwartet wird, dass die Zusammenarbeit zwischen den delegierten Staatsanwälten in den einzelnen Mitgliedsländern künftighin effizienter funktioniert als die bisherige Zusammenarbeit im Wege der Rechtshilfe.

Damit die europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tätig werden können, muss ein Schaden von mindestens 100.000 EUR vorliegen, bei Umsatzsteuerbetrug von mindestens 10 Mio. EUR, die beim Umsatzsteuerbetrug allerdings schnell zusammenkommen, wenn Unternehmen in mehreren Mitgliedstaaten daran beteiligt sind. Umstritten war die EuStA von Anfang an aufgrund der Sorge, ob die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tatsächlich unabhängig arbeiten können; nach wie vor sind die rechtsstaatlichen Standards in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich. Seitens der Strafverteidiger wird befürchtet, dass mit der EuStA die Beschuldigtenrechte verkürzt werden könnten. Künftighin werden als Gegenpart auf jeden Fall »Europäische Strafverteidiger« benötigt; für strafrechtlich Interessierte eröffnet dies ganz neue berufliche Perspektiven.

Zur Bekämpfung der massiven Straftaten, die den EU-Haushalt Jahr für Jahr nachhaltig schädigen, war es dringend nötig, dass jetzt endlich die EuStA ihre Arbeit aufnehmen konnte. Ein gemeinsamer Rechtsraum in Strafsachen ist wieder einen wichtigen Schritt vorangekommen. Die EuStA hat sogar »das Potenzial, die Effektivität der europäischen Strafverfolgung auf eine neue Ebene zu heben« (Duesberg NJW 2021, 1207; der in seinem Aufsatz einen kompakten Überblick zur EuStA gibt).

Das Europäische-Staatsanwaltschaft-Gesetz (EUStAG) finden Sie bei beck-online. Nähere Informationen finden Sie auch auf der Homepage der EuStA unter https://www.eppo.europa.eu im Netz.

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