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Nachhaltigkeitsberichterstattung – Wesentlichkeitsanalyse schützt vor Datenfriedhöfen

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

Wesentliche Aspekte einer BVBC-AK-Sitzung vom 8.12.2023 in Saarbrücken

 

Auch KMU werden über kurz oder lang in die Verpflichtungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung einbezogen werden – wenn nicht direkt, dann indirekt über Anforderungen, die insbesondere Kreditgeber und Lieferanten, aber auch Mitarbeitende und Bewerber sowie sonstige Stakeholder (Eigenkapitalgeber, Kunden sowie Anwohner) an das Unternehmen stellen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Wesentlichkeitsanalyse, um in der Berichterstattung die wirklich relevanten Informationen zu verankern und somit einen kaum zu überblickenden Datenfriedhof zu vermeiden.

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Gestaltung der Wesentlichkeitsanalyse war das zentrale Thema der siebten Sitzung des Arbeitskreises (AK) Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSR) des BVBC e.V., zu der am 8.12.2023 der AK-Leiter Univ.-Prof. Dr. Stefan Müller die in Saarbrücken anwesenden und via MS Teams zugeschalteten Teilnehmer begrüßte; es fand beim Unternehmen Dornbach statt.  Zur Umsetzung der Europäischen Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz: CSRD) in deutsches Recht steht der Referentenentwurf immer noch aus, sodass dieser Tagungsordnungspunkt nicht mit Leben gefüllt werden konnte.

Umso lebhafter entfaltete sich die Diskussion hinsichtlich der in jedem Fall mit hoher Praxisrelevanz verbundenen Wesentlichkeitsanalyse. Schon in seiner Einführung hob der AK-Leiter Müller hervor, dass die sog. doppelte Wesentlichkeit das zentrale Thema ist, um in der Nachhaltigkeitsberichterstattung die wirklich relevanten Informationen zu verankern und somit einen kaum sinnvoll zu überblickenden Datenfriedhof zu vermeiden. Da nun allerdings die Wesentlichkeit naturgemäß mit erheblichen Einschätzungsspielräumen verbunden ist, sind Konflikte innerhalb des berichtspflichtigen Unternehmens, mit Prüfern und dem Aufsichtsrat sowie mit Adressaten absehbar.

 

 

Lösung

Ziel muss es nach den Empfehlungen von Müller daher sein, diese Konflikte möglichst klein zu halten, was u.a. durch eine gute Dokumentation und Kommunikation der Entscheidungen gelingen könne. Dennoch sei in der konkreten Umsetzung die Spannbreite der Entscheidungen im Kontext der Wesentlichkeit enorm groß. Fraglich ist, ob und unter welchen Bedingungen eine Gestaltung im Sinne einer „Bilanzpolitik“ oder „Rechnungslegungspolitik“ möglich und sinnvoll ist. Jedenfalls sind, so Müller, auch Sanktionsmechanismen erforderlich, die eine zu weite Auslegung begrenzen.

Auch seitens der AK-Teilnehmer WP Dr. Christian Metz und Carolin Simon wurde aus Sicht des Unternehmens Dornbach die Bedeutung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse unterstrichen. Hierbei werden die Auswirkungen des Unternehmens nach außen (Inside-Out-Perspektive, z.B. CO2-Ausstoß der eigenen Fahrzeugflotte) und/oder die von außen auf das Unternehmen einwirkenden Risiken und Chancen untersucht (Outside-In-Perspektive, z.B. Extremwetterereignisse). Bei der Dornbach GmbH orientiert sich das Vorgehen an der Implementation Guidance (am Umsetzungsleitfaden) der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG; Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung). Es handelt sich um erste Entwürfe zur Implementierung der Wesentlichkeitsanalyse, welche aber noch nicht final sind.

Im ersten Schritt wird das sog. Scoping betrachtet (Abgrenzung des Untersuchungsbereichs – scope = Geltungsbereich). Um das Unternehmen zu verstehen, werden die Geschäftstätigkeit und die Wertschöpfungskette analysiert und die Berichtsgrenzen festgelegt. Es wird empfohlen, ein interdisziplinäres Projektteam aufzustellen (Leitung eventuell durch Finanzabteilung, aber auch Personal, Einkauf, Technik, Risikomanagement, etc. mit einbeziehen).

Im zweiten Schritt geht es in die Themenfindung. Wenn bereits Due-Diligence-Prozesse (sorgfältige Analyse und Bewertung) im Unternehmen vorhanden sind, kann auf diesen aufgebaut werden. Auch freiwillige Nachhaltigkeitsberichte aus der Peer Group (Gruppe von vergleichbaren Unternehmen) und bereits etablierte (unstrukturierte) Maßnahmen können einen ersten Anhaltspunkt bieten.

Im dritten Schritt wird die Inside-Out-Perspektive (Auswirkungswesentlichkeit) betrachtet. Die zuvor erstellte Themenliste wird ggf. erweitert. Es wird eine Bewertung der Auswirkungen vorgenommen; dies ist jedoch eine Aufgabe, die noch viel Klärungsbedarf erfordert. Zur Einbeziehung der Stakeholder enthält der Standard nur wenige Vorgaben.

Im vierten Schritt wird die Outside-In-Perspektive (finanzielle Wesentlichkeit) eingenommen. In diesem Schritt sollte auch das Risikomanagement, wenn vorhanden, einbezogen werden. Als wichtig erkannte Risiken müssen nachhaltigkeitsbezogen sein und einen finanziellen Effekt auf das Unternehmen haben (z.B. Zugang zu Finanzmitteln, finanzielle Leistungsfähigkeit, etc.). Die Bewertung der Risiken und Chancen erfolgt aus der Unternehmensperspektive, häufig durch die Führungskräfte.

Im fünften und letzten Schritt müssen die Perspektiven zusammengeführt werden. Zur Darstellung eignet sich eine Wesentlichkeitsmatrix. Es sind Schwellenwerte festzulegen, um die wesentlichen Themen abgrenzen zu können. Aus der Prüfungsperspektive ist dann die Dokumentation sehr wichtig. Dabei sollten der Prozess und die Vorgehensweise dokumentiert werden, und auch Begrifflichkeiten müssen klar definiert sein. Die Auseinandersetzung mit den Bewertungsparametern der European Sustainability Reporting Standards (ESRS – EU-Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung) sollte nachvollziehbar sein.

 

 

Praxishinweise:

  • In einem weiteren Impulsvortrag von Prof. Dr. Peter Lorson wurde der Dornbach-Erfahrungsbericht um ausgewählte Fragestellungen zur Wesentlichkeitsanalyse und zum Stakeholder-Dialog ergänzt und die Nachhaltigkeitsberichterstattung in den Kontext der Unternehmensführung eingeordnet. Lorson erwartet, dass Best Practices (vorbildliche/bewährte Praktiken) künftig zu einer Standardisierung führen werden und Auslegungskonflikte adressieren. Beim Heranziehen der EFRAG Implementation Guidance sei zu beachten, dass diese noch nicht final ist und auch zukünftig nicht bindend sein wird. So sei auch die Reihenfolge der Schritte „Betrachtung des Geschäftsmodells und der Strategie“, „Due-Diligence-Prozesse“ und „Wesentlichkeitsanalyse“ noch nicht abschließend geklärt.
  • Mit Blick auf die Betrachtung der Auswirkungen verwies Lorson auf den Grundsatz, dass negative Auswirkungen eigentlich nicht mit positiven saldiert werden dürfen. Soweit das aber doch geschieht, ist gemäß der hierzu entfachten AK-Diskussion vor allem die Kommunikation über vorgenommene Saldierungen wichtig. Wird hierüber nicht berichtet, könne dies zu Reputationsverlusten führen.
  • In Workshops behandelten Kleingruppen Einzel-Themen. Die erste Gruppe befasste sich unter der Leitung von Prof. Müller mit dem Thema „Einschätzungsspielräume in der Nachhaltigkeitsberichterstattung“. Die zweite Gruppe behandelte unter der Leitung von Sean Needham das Thema „Finanzielle Wesentlichkeit“. In der dritten Gruppe diskutierten die in Saarbrücken anwesenden Teilnehmer zum Zusammenhang von „Auswirkungswesentlichkeit und Stakeholderdialog“.
  • Man darf zur 7. AK-Sitzung wohl resümierend festhalten: Mit hochgradig nutzwertigen Impulsvorträgen und praxisorientierten Diskussionsbeiträgen haben die AK-Teilnehmer wertvolle Hinweise für ihren Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung erhalten. Auf die Fortsetzung in 2024 darf man gespannt sein. Vorgesehen ist als nächster Termin der 15.4.2024. Interessierte Bilanzbuchhalter und Controller sollten die Chance nutzen, ihre Sicht der Dinge einbringen zu können; Anmeldungen nimmt die Wissenschaftliche Mitarbeiterin des AK-Leiters, Frau Lina Warnke, unter lina.warnke@hsu-hh.de gerne entgegen.

 

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

BC 2/2024

BC20240204 

 

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