VGH Mannheim: Schleierfahndung durch Bundespolizei im 30-Kilometer-Grenzgebiet verstößt gegen EU-Recht

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat in zwei Berufungsverfahren von der Bundespolizei im 30-Kilometer-Grenzgebiet vorgenommene Personenkontrollen (Schleierfahndung) für rechtswidrig erachtet. Die entsprechende Befugnisnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG verstoße gegen den Schengener Grenzkodex und hätte daher nicht angewendet werden dürfen (Urteile vom 13.02.2018, Az.: 1 S 1468/17 und 1 S 1469/17).

Klagen gegen Personenkontrollen durch die Bundespolizei im 30-Kilometer-Grenzgebiet

Beide Verfahren betrafen Personenkontrollen durch die Bundespolizei im 30-Kilometer-Grenzgebiet. Im April 2013 kontrollierten Beamte der Bundespolizei im Untergeschoss des Freiburger Hauptbahnhofs den Ausweis des Klägers des Berufungsverfahrens 1 S 1468/17, der damals Jurastudent war, und nahmen einen Datenabgleich vor. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies dessen Klage auf Feststellung der Rechtwidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen ab. Der Kläger legte dagegen Berufung ein. Im November 2013 führte die Bundespolizei bei dem Kläger des Berufungsverfahrens 1 S 1469/17, der deutscher Staatsangehöriger afghanischer Abstammung ist, in der 1. Klasse des ICE 377 von Berlin nach Freiburg eine Ausweiskontrolle durch und glich die Daten ab. Das VG Stuttgart gab der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung und des Datenabgleichs statt. Dagegen legte die Bundespolizei Berufung ein.

VGH: Kontrollen waren rechtswidrig

Der VGH hat in beiden Berufungsverfahren die Rechtswidrigkeit der Ausweiskontrolle und des Datenabgleichs festgestellt. Der von der Europäischen Union erlassene Schengener Grenzkodex habe Grenzkontrollen zwischen den am Schengen-System teilnehmenden Ländern abgeschafft, gestatte diesen jedoch die Ausübung allgemeiner polizeilicher Befugnisse auch im Grenzgebiet, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen habe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse Deutschland - um eine solche gleiche Wirkung auszuschließen - einen Rechtsrahmen schaffen, der konkretisiere, unter welchen Bedingungen Kontrollen im 30-Kilometer-Grenzgebiet stattfinden dürften, und damit solche Kontrollen in ihrer Intensität und Häufigkeit beschränke.

Befugnisnorm zur Schleierfahndung im 30-Kilometer-Grenzgebiet verstößt gegen EU-Recht

Laut VGH erfüllt die Befugnisnorm des § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG diese Anforderungen nicht. Die Vorschrift enthalte nicht die vom EuGH verlangten Konkretisierungen und Beschränkungen, auch nicht im Zusammenwirken mit den damals für die Bundespolizei geltenden Verwaltungsvorschriften "BRAS 120". Den erforderlichen Rechtsrahmen könnten diese Verwaltungsvorschriften schon deswegen nicht darstellen, da sie nicht allgemein veröffentlicht seien. Sie seien daher für die betroffenen Bürger nicht zugänglich und folglich die Rechtsanwendung für die Normunterworfenen nicht vorhersehbar. Auch inhaltlich genügten die "BRAS 120" nicht dem Zweck, die Häufigkeit der Kontrollen im Grenzgebiet insgesamt effektiv zu beschränken. Denn sie regelten nur die Kontrolle im Einzelfall und enthielten beispielsweise keine Beschränkung auf stichprobenartige Kontrollen.

VGH Mannheim, Urteil vom 13.02.2018 - 1 S 1468/17

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2018.