Seit über 5 Jahren schwelt ein Streit in dem beschaulichen Städtchen Oberkochen im baden-württembergischen Ostalbkreis. Der ehemalige Vorsitzende des Vereins "Kinder von der Straße", war im Oktober 2017 vom AG Aalen mittels Strafbefehls zu einer zehnmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Der Vorwurf: Veruntreuung von Vereinsmitteln in 22 Fällen. Unter der Flagge seines neuen Vereins – "Aktion Fußballtag" – schaltete er im Juni 2020 eine Anzeige im städtischen Amtsblatt. Unter einem Foto von ihm und Angela Merkel bedankte er sich darin bei der Bundeskanzlerin a. D. für die vermeintliche Würdigung des Vereins.
In der folgenden Ausgabe des Amtsblatts antworteten dann der Bürgermeister und der SPD-Ortsverein mit einer kritischen Stellungnahme, bei der sie zu weit gingen. Zwar habe der Bürgermeister keine Rechtsgrundlage hierfür gebraucht, aber dennoch die Grenzen seiner amtlichen Äußerungsbefugnis überschritten, befand der VGH Mannheim. Der VGH entschied damit zugunsten des Vereinsvorsitzenden, der wegen einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf Feststellung der Rechtswidrigkeit geklagt hatte (Urteil vom 22.07.2025 – 1 S 720/23).
"Lumpen" und "Arschlecker"
In der Stellungnahme hatte es geheißen, Frau Merkel sei sich sicherlich nicht bewusst gewesen, dass mit ihrem Konterfei Werbung für einen privaten Verein gemacht werden sollte, der außerdem allesamt aus Angehörigen einer Familie bestehe. Danach wies die Stellungnahme auf die Verurteilung des Vorsitzenden wegen Untreue sowie darauf hin, dass "nun versucht werde", mithilfe des neuen Vereins erneut Sponsoren- und Spendengelder einzusammeln. Man werde seit geraumer Zeit per E-Mail als "Lumpen" und "Arschlecker" beleidigt, so dass sich nun – in einem fett gedruckten Absatz – sowohl die Stadt Oberkochen, der SPD-Ortsverein als auch sie "persönlich" von dem Verein distanzieren würden. Außerdem arbeite man zu keinem Zeitpunkt mit Straftätern zusammen, die das Vertrauen von Kindern, Spendern und Sponsoren missbraucht hätten.
Der Vorsitzende klagte hiergegen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, da er sich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sah. Das VG Stuttgart wies die Klage zunächst ab, der VGH Mannheim hob diese Entscheidung nun jedoch auf und gab ihm Recht.
Distanzierung, keine Warnung
Der Senat legte die Stellungnahme der Gemeinde als Information der Öffentlichkeit aus, wobei die "Qualität einer zielgerichteten Warnung" noch nicht erreicht sei. Sie ziele stattdessen eher auf die Information der Einwohner über die ausbleibende Zusammenarbeit mit dem Verein und „in diesem Sinne“ auf eine Distanzierung von dem Verein ab.
Grundsätzlich brauche es für eine solche Meldung keine besondere Gesetzesgrundlage, wie der Senat ausführte. Im Rahmen der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sei der Bürgermeister befugt, sich zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern. Dass sich Sponsoren womöglich davon abhalten lassen könnten, an den Verein zu spenden, sei ein "bloßer Reflex" der amtlichen Mitteilung. Die Mitteilung an sich komme noch nicht an einen zielgerichteten, Grundrechtseingriff heran, der eine besondere Rechtsgrundlage erfordern würde.
Die Grenzen amtlicher Mitteilungen
Ein Problem sah der Senat jedoch darin, dass sich der Bürgermeister nicht nur als Amtsträger, sondern auch als "Privatperson" wegen mehrfacher Beleidigungen durch den Verein distanziert hatte. Ihm als Privatperson stehe es grundsätzlich frei, auf eigene Kosten eine Distanzierung ins Amtsblatt zu bringen – die Finanzierung aus städtischen Mitteln sei ihm für ein solches Anliegen allerdings verwehrt. Sofern es hier um eine Reaktion auf vermeintliche Beleidigungen und Verunglimpfungen gegangen sei, hätte es auch etwa den betroffenen Mitgliedern des SPD-Ortsvereins stattdessen freigestanden, ihre Rechte gerichtlich wahrzunehmen.
Außerdem verstoße die Mitteilung gegen das Sachlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgebot. So behaupte die Stadt zwar, dass sie habe klarstellen wollen, dass man nicht mit dem Verein zusammenarbeite. Für eine solche Zusammenarbeit habe es allerdings auch die durch Anzeige keine Anhaltspunkte gegeben. Sie behaupte weiter, sich mit der Mitteilung gegen eine vermeintliche Rechtswidrigkeit der vorherigen Anzeige zu stellen. Die Mitteilung werde diesem Ziel indes nicht gerecht, so der Senat. Nach Aussagen der Stadt sei die Mitteilung dazu gedacht gewesen, die "fragwürdige Vorgehensweise zur Spendenakquise" seitens des Vereins aufzuzeigen und sich insbesondere von der unrechtmäßigen Abbildung Angela Merkels zu distanzieren. Dieses Anliegen habe die Stadt in der Mitteilung hingegen nicht deutlich gemacht. Sie habe lediglich behauptet, die Bundeskanzlerin sei sich der Nutzung ihres Bildes "sicherlich" nicht bewusst gewesen, eine nähere Begründung der vermeintlichen Rechtswidrigkeit blieb jedoch aus. Das sei in jedem Falle nicht ausreichend, um der behaupteten Rechtswidrigkeit entgegenzutreten – und könne somit das behauptete Ziel der Mitteilung nicht ausfüllen.
Selbst wenn man die Mitteilung als amtliche Warnung nach dem PolG sehen würde – so der Senat – brauche es zusätzliche Anhaltspunkte dafür, dass die gespendeten Gelder tatsächlich durch Untreuedelikte gefährdet seien. Dies sei nicht ersichtlich.
Da die Mitteilung als Ganzes zur Stigmatisierung des Vorsitzenden beitrage und auch nach fünf Jahren noch in der Stadt nachhalle, habe auch im Jahr 2025 noch ein Rehabilitationsinteresse bestanden.