Rechtlicher Hintergrund
Im Jahr 2007 wurde die Stichwahl bei den Bürgermeister- und Landratswahlen erstmals abgeschafft. Dies war nach einer Entscheidung des VerfGH aus dem Jahr 2009 auf der Basis der vom Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt zugrunde gelegten Verhältnisse mit der Landesverfassung vereinbar (NVwZ 2009, 1096). Nach der Wiedereinführung der Stichwahl im Jahr 2011 wurde das Wahlverfahren durch Änderung des § 46c des nordrhein-westfälischen Kommunalwahlgesetzes erneut als einstufige Wahl mit relativer Mehrheit ausgestaltet. Zur Einteilung der Wahlbezirke sah die bisherige Regelung in § 4 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz Nordrhein-Westfalen unter anderem vor, dass die Einwohnerzahl in einem Wahlbezirk nicht mehr als 25% von der durchschnittlichen Einwohnerzahl der Wahlbezirke im Wahlgebiet nach oben oder unten abweichen darf. Die Vorschrift wird nunmehr ergänzt durch die Vorgabe, dass bei der Ermittlung der Einwohnerzahl unberücksichtigt bleibt, wer nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist oder nicht die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt.
Verletzung des Demokratieprinzips und der Chancengleichheit der politischen Parteien moniert
Die Antragsteller machten im Wesentlichen geltend, die erneute Abschaffung der Stichwahl zugunsten einer einstufigen Wahl mit relativer Mehrheit sowie die Neuregelung zur Einteilung der Wahlbezirke verletzten das Demokratieprinzip und die Chancengleichheit der politischen Parteien. Im Hinblick auf die Stichwahl liege insbesondere ein Verstoß gegen die dem Gesetzgeber aufgegebene Begründungs- und Beobachtungspflicht vor.
Prognose einer Stärkung demokratischer Legitimation verfehlt verfassungsrechtliche Anforderungen
Die Abschaffung der Stichwahl sei nicht mit der Landesverfassung vereinbar, entschied der VerfGH daraufhin. Für die Frage, ob die Bürgermeister- und Landratswahlen den Gewählten eine hinreichende demokratische Legitimation vermittelten, sei neben der Wahlbeteiligung der erreichte Zustimmungsgrad von Bedeutung. Die verfassungsrechtliche Beurteilung hänge insoweit von den zugrunde liegenden normativen und tatsächlichen Verhältnissen ab. Je höher der zu erwartende Anteil der obsiegenden Kandidaten sei, die im einzigen Wahlgang lediglich eine weit von der absoluten Mehrheit entfernte relative Mehrheit erreichten, umso mehr sei das demokratische Prinzip der Mehrheitswahl tangiert. Die diesbezügliche Beurteilung sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, vom VerfGH aber daraufhin zu überprüfen, ob sie auf einer vollständigen tatsächlichen und rechtlichen Grundlage beruhe. Gemessen daran verfehle die Prognose des Gesetzgebers, die einstufige Direktwahl der kommunalen Hauptverwaltungsbeamten mit relativer Mehrheit führe zu einer Stärkung demokratischer Legitimation, die verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es fehle an einer Einbeziehung relevanter Tatsachen. Der Gesetzgeber habe sich darauf beschränkt, die vergangenen Kommunalwahlen im Hinblick auf die Wahlbeteiligung und die Bedeutung der Stichwahl statistisch auszuwerten, ohne die in diesem Zusammenhang bedeutsame zunehmende Zersplitterung der Parteienlandschaft zumindest in den Blick zu nehmen. Dies falle umso mehr ins Gewicht, als diese Entwicklung des Parteienwesens den Gesetzgeber mit den Stimmen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bereits im Jahr 2016 veranlasst habe, eine Sperrklausel für Rats- und Kreistagswahlen in Höhe von 2,5% auf Verfassungsebene einführen zu wollen.
Regelung zu Maßgeblichkeit lediglich Deutscher und EU-Ausländer für Einwohnerzahl rechtens
Die von den Antragstellern ebenfalls angegriffene Neuregelung, wonach nur Deutsche sowie EU-Ausländer bei der Berechnung der Einwohnerzahl der einzelnen Wahlbezirke berücksichtigt werden, sei mit der Landesverfassung vereinbar, so der VerfGH weiter. Sie führe zu einer verbesserten Realisierung der Wahlrechts- und Chancengleichheit, die grundsätzlich eine Einteilung des Wahlgebietes in gleich große Wahlkreise ausgehend von der Zahl der Wahlberechtigten gebiete.
Bestimmung zu zulässiger Abweichungstoleranz bedarf verfassungskonformer Auslegung
Die mit dieser Neuregelung im Zusammenhang stehende Bestimmung zur zulässigen Abweichungstoleranz bei der Einteilung der Wahlbezirke von bis zu 25% bedürfe der einschränkenden, sogenannten verfassungskonformen Auslegung: Eine Abweichung von mehr als 15% erfordere eine besondere Rechtfertigung. Eine Differenz von bis zu 15% sei vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, weil gewisse Abweichungen aufgrund des stetigen Bevölkerungswandels unvermeidbar seien. Die (volle) Ausschöpfung der Abweichungstoleranz von 25% bringe aber einen nicht unerheblichen Eingriff in die Wahlrechts- und die Chancengleichheit mit sich und müsse deshalb im Einzelfall durch die jeweilige Kommune verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Als legitimer Grund komme das gesetzlich verankerte Ziel der Wahrung räumlicher Zusammenhänge in Betracht. Hinter diesem Aspekt müssten indes verfassungsrechtliche Ziele stehen, die ein der Wahlrechts- und Chancengleichheit vergleichbares Gewicht besäßen. Eine pauschalierende Anwendung der 25%-Klausel zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung werde diesem Erfordernis nicht gerecht. Die Verwaltungsvereinfachung sei - ebenso wie der Gesichtspunkt einer leichteren Zuordnung des jeweiligen Wahlbezirks zu einem Wohngebiet - kein durch die Verfassung legitimierter Grund, der sich mit der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten könne.
Sondervotum dreier Verfassungsrichter zur Abschaffung der Stichwahl
Die Verfassungsrichterin Dauner-Lieb sowie die Verfassungsrichter Heusch und Röhl haben ein Sondervotum abgegeben, das sich lediglich auf die Entscheidung des Senats zur Abschaffung der Stichwahl bezieht. Sie gehen davon aus, dass die Entscheidung des Landesgesetzgebers zur Abschaffung eines zweiten Wahlgangs bei der Wahl der Hauptverwaltungsbeamten der Gemeinden und Kreise mit der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vereinbar sei, insbesondere auch mit dem dort verankerten Demokratieprinzip und den verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen. Die Senatsmehrheit überhöhe den demokratischen Gehalt von Stichwahlen und verliere dabei die zumeist sinkende Wahlbeteiligung bei solchen Wahlen aus dem Blick. Das Gericht dürfte nicht die tatsächlichen und rechtlichen Wertungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers durch seine eigenen ersetzen.