OVG Münster: Bundesregierung muss Vereinbarkeit von US-Drohneneinsätzen im Jemen mit Völkerrecht prüfen

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster hat die Bundesrepublik Deutschland auf die Klage von drei Jemeniten dazu verurteilt, sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, ob eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von bewaffneten Drohnen an der Wohnanschrift der Kläger im Jemen im Einklang mit dem Völkerrecht stattfindet. Erforderlichenfalls müsse die Bundesrepublik auf dessen Einhaltung gegenüber den USA hinwirken, so das Gericht (Urteil vom 19.03.2019, Az.: 4 A 1361/15).

Kläger beklagen Verlust von Angehörigen nach US-Drohnenangriff

Die Kläger machen geltend, bei einem Drohnenangriff im Jahr 2012 in der Provinz Hadramaut nahe Angehörige verloren zu haben. Sie bezweifelten die Rechtmäßigkeit dieses Angriffs, der nach ihrem Kenntnisstand bisher nicht von unabhängigen Stellen untersucht worden ist. Eine gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtete Klage wurde von einem amerikanischen Gericht abgewiesen, ohne dass eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Angriffs stattgefunden hatte. Wegen der wesentlichen Bedeutung der in Deutschland gelegenen Air Base Ramstein für fortdauernde amerikanische Drohneneinsätze auch im Jemen haben die Kläger, die um ihre eigene Sicherheit besorgt sind, die Bundesrepublik Deutschland darauf verklagt, eine Nutzung der Air Base für derartige Einsätze durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden.

OVG: Bundesrepublik trifft Schutzpflicht in Bezug auf Leben der Kläger

Das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage ab. Die Berufung hatte nun teilweise Erfolg. Soweit die Kläger verlangt haben, die Nutzung der Air Base Ramstein für bewaffnete Drohneneinsätze zu unterbinden, hat das OVG die Klage zwar abgewiesen. Weiter führte das Berufungsgericht aber aus, dass die Bundesrepublik eine Schutzpflicht bezogen auf das Leben der Kläger habe, die sie bisher nicht ausreichend erfüllt habe. Eine Schutzpflicht des Staates bestehe bei Gefahren für das Grundrecht auf Leben auch bei Auslandssachverhalten, sofern ein hinreichend enger Bezug zum deutschen Staat besteht. Das sei hier der Fall, weil die Kläger berechtigterweise Leib- und Lebensgefahren durch völkerrechtswidrige US-Drohneneinsätze unter Nutzung von Einrichtungen auf der Air Base Ramstein befürchten, so das OVG.

Anhaltspunkte für Völkerrechtsverstoß der USA durch Einsatz bewaffneter Drohnen

Es bestünden gewichtige, der Beklagten bekannte oder jedenfalls offenkundige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze in der Heimatregion der Kläger im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen, wodurch die Kläger rechtswidrig in ihrem Recht auf Leben gefährdet würden. Die Feststellungen des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags und die dem Gericht vorliegenden offiziellen Informationen belegten die zentrale Rolle insbesondere der Satelliten-Relaisstation in Ramstein für fortdauernde Einsätze bewaffneter US-Drohnen auch im Jemen, so das OVG.

Bundesregierung muss Tatsachen ausreichend ermitteln

Die Frage, ob das Völkerrecht bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen zulässt, sei dabei keine politische Frage, sondern vielmehr eine Rechtsfrage. Das OVG sei daher nach dem Grundgesetz verpflichtet zu prüfen, ob die amerikanischen Drohneneinsätze in der Heimat der Kläger mit Völkerrecht vereinbar sind. Die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestünden keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Völkerrecht, beruhe auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung und sei rechtlich letztlich nicht tragfähig, so die OVG-Richter. Die Bundesregierung sei deshalb verpflichtet, durch ihr geeignet erscheinende Maßnahmen den bestehenden Zweifeln nachzugehen.

US-Drohnen-Einsatz nicht generell unzulässig

Der Einsatz bewaffneter amerikanischer Drohnen im Jemen, die mit Zustimmung der dortigen Regierung eingesetzt werden, sei derzeit zwar nicht generell unzulässig, so das Gericht weiter. Bewaffnete Drohnen seien insbesondere keine völkerrechtlich verbotenen Waffen. Gezielte militärische Gewalt auch durch bewaffnete Drohneneinsätze sei aber nur unter Beachtung der Vorgaben des humanitären Völkerrechts und des internationalen Menschenrechtsschutzes zulässig.

Rechtslage nach humanitärem Völkerrecht

Laut Gericht besteht in Jemen ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt zwischen al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) auf der einen Seite und der jemenitischen Regierung, die auf ihr Bitten unter anderem von den USA unterstützt wird, auf der anderen Seite, der zumindest derzeit noch nicht beendet ist. Nach dem deshalb anwendbaren humanitären Völkerrecht dürfen sich Angriffe laut OVG grundsätzlich nur gegen Kämpfer der am Konflikt beteiligten bewaffneten Gruppe richten sowie gegen andere Personen, die unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Ob jemand Kämpfer einer Konfliktpartei ist, hänge davon ab, ob seine fortgesetzte beziehungsweise dauerhafte Funktion in der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten besteht ("continuous combat function"). Ist dies der Fall, dürfe er auch dann gezielt bekämpft werden, wenn er aktuell nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt.

Zweifel an US-Vorgehensweise

Nach Auswertung aller für den OVG-Senat verfügbaren öffentlichen Erklärungen der US-Administration bestehen danach Zweifel, ob die generelle Einsatzpraxis für Angriffe auch im Jemen diesem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts genügt. Indem alle mit al-Qaida "assoziierten" Kräfte umfassend als Beteiligte an einem weltweiten bewaffneten Konflikt angesehen werden, selbst wenn Zeit und Ort eines möglichen Angriffs noch ungewiss sind, bleibe unklar, ob sich direkte bewaffnete Angriffe im Jemen auf zulässige militärische Ziele beschränken. Schließlich sei auch im bewaffneten Konflikt nach internationalen Menschenrechtsverträgen jede willkürliche Tötung unzulässig.

Zweifel an Einhaltung des Verbots willkürlicher Tötungen

Eine Tötung ist laut OVG nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs dann nicht willkürlich, wenn sie sich im Rahmen eines bewaffneten Konflikts gegen ein legitimes militärisches Ziel richtet und der Angriff unverhältnismäßig hohe zivile Opfer vermeidet. Ob dies jeweils der Fall war, sei in der Vergangenheit vielfach ungeklärt geblieben, selbst wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass Zivilisten gezielt angegriffen worden sein könnten. Das Verbot willkürlicher Tötung verlange überdies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts, dass wirksame amtliche Ermittlungen durchgeführt werden, wenn Personen durch Gewaltanwendung insbesondere durch Vertreter des Staates getötet werden.

Keine unabhängige Untersuchung nach Drohnenangriff vorgenommen

Der Bundesregierung sei nach Angaben ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung nicht bekannt, dass in Fällen dieser Art ‒ über rein interne Lageauswertungen hinaus ‒ unabhängige Untersuchungen durch US-Behörden durchgeführt oder zugelassen werden. Hierüber sei im laufenden Verfahren auch sonst nichts bekannt geworden, so das OVG.

Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das OVG die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

OVG Münster, Urteil vom 19.03.2019 - 4 A 1361/15

Redaktion beck-aktuell, 20. März 2019.