Ungarn: Parlament gibt Orban mit Notstandsgesetz freie Hand

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kann künftig mit ebenso umfassenden wie umstrittenen Sondervollmachten gegen die Corona-Pandemie vorgehen. Das Parlament in Budapest billigte am 30.03.2020 mit einer Zweidrittelmehrheit ein Notstandsgesetz, das es dem rechts-nationalen Regierungschef ermöglicht, ohne zeitliche Befristung auf dem Verordnungsweg zu regieren. Die Opposition, unabhängige Journalisten sowie auch der Europarat und das UN-Menschenrechtsbüro halten das Notstandsgesetz für zu weitgehend.

Gesetz ermächtigt unbefristet zu Pandemie-Notstandsmaßnahmen

Das Gesetz soll dafür sorgen, “dass die Regierung alle zur Eindämmung beziehungsweise Abwehr der Folgen der Covid-19-Pandemie nötigen außerordentlichen Maßnahmen treffen kann“, heißt es in der Einleitung. Dabei, so heißt es im Gesetzestext, könne sie “die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen treffen“. Die Dauer dieser Vollmachten ist nicht konkret begrenzt - sie bemisst sich daran, wie lange die Regierung den Pandemie-Notstand als gegeben ansieht. Zwar kann auch das Parlament ein Ende des Notstands beschließen. Das neue Gesetz besagt aber zugleich, dass die Vollmachten der Regierung im Falle der Verhinderung des Parlaments ohne zeitliche Frist bestehen bleiben. Zudem enthält der Gesetzestext keine Kriterien dafür, wann das Parlament als verhindert anzusehen ist.

Journalisten kritisieren Strafvorschrift für "Verbreitung von Falschnachrichten"

Weitere Bestimmungen beinhalten, dass während des Pandemie-Notstands keine Wahlen und Referenden stattfinden dürfen. Außerdem werden die Strafen für Verstöße gegen Quarantänebestimmungen sowie für die Verbreitung von Falschnachrichten massiv verschärft. Vor allem letztere Regelung ist Kritikern zufolge bewusst schwammig formuliert. So kann jemand, der eine wahre Tatsache auf eine Weise wiedergibt, die dazu angetan ist, “größere Gruppen von Menschen zu beunruhigen“, mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Unabhängige Journalisten befürchten, dass ihnen wegen kritischer Berichterstattung Haftstrafen drohen könnten.

Europarat und UN-Menschenrechtsbüro: Notstandsgesetz geht zu weit

Die Opposition forderte bis zuletzt vergeblich das Einziehen eines zeitlichen Horizonts für die Dauer der Sondervollmachten. In seiner fast zehnjährigen Amtszeit hat Orban nach Ansicht von Kritikern die demokratischen Institutionen in seinem Land ausgehöhlt und einen autoritären Regierungsstil gepflegt. In der EU läuft wegen der mutmaßlichen Einschränkung von Bürger- und Grundrechten ein Grundwerteverfahren gegen Ungarn, das theoretisch zum Entzug der Stimmrechte in der Union führen kann. Das neue Notstandsgesetz hatten zuletzt auch der Europarat und das UN-Menschenrechtsbüro als zu weitgehend kritisiert. Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner forderte die EU-Kommission auf, diesen “klaren Verstoß gegen die demokratischen Prinzipien der EU“ zu kritisieren und zu sanktionieren. Orban nutze die Corona-Krise “schamlos aus, um seine Macht auszubauen und die Demokratie auszuhöhlen“, erklärte die Politikerin in Berlin.

Von der Leyen kritisiert unbegrenzte Notstandsgesetze

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Notstandsgesetze wie das in Ungarn deutlich zurückgewiesen - ohne Budapest jedoch beim Namen zu nennen. "Alle Notstandsmaßnahmen müssen auf das, was notwendig ist, begrenzt und streng verhältnismäßig sein. Sie dürfen nicht unbegrenzt dauern", sagte die CDU-Politikerin am 31.03.2020 in Brüssel. Die EU-Kommission werde die Notstandsgesetze der EU-Staaten in der Corona-Krise genau prüfen. Ein Kommissionssprecher ergänzte, das Kollegium der EU-Kommissare werde am 01.04.2020 darüber beraten.

Redaktion beck-aktuell, 31. März 2020 (dpa).