Umsetzung der SLAPP-Richtlinie: Wie die EU Journalisten vor Einschüchterung schützen will
© Adobe Stock / Tino Neitz

Menschen, die sich von Berufs wegen mit den Mächtigen anlegen, bekommen oft ausgefeilte Einschüchterungstaktiken zu spüren. Die EU will Journalistinnen und Aktivisten besser schützen, nun ist die Bundesregierung am Zug. Roger Mann und Tobias Hinderks erklären die Hintergründe.

Nachdem die Ampel-Koalition dies nicht mehr geschafft hatte, haben sich auch die Parteien der neuen schwarz-roten Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, die sogenannte SLAPP-Richtlinie (RL 2024/1069, im Folgenden: RL), die "Strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung" zum Gegenstand hat, "zeitnah" umzusetzen. 

Zeit hierfür hat die neue Koalition bis zum 7. Mai 2026. Anlass genug, ein kurzes Schlaglicht auf die wesentlichen Inhalte der Richtlinie und den aktuellen Diskussionsstand zu werfen.

Was sind "Strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung"?

"Strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung" sind aus dem angloamerikanischen Rechtsraum auch als Strategic Lawsuits Against Public Participation, kurz SLAPPs, bekannt. Gemeint sind offensichtlich unbegründete oder missbräuchliche Klagen und Anträge, die erhoben werden, um Personen, die sich öffentlich äußern, beispielsweise Journalisten oder NGO-Aktivistinnen, einzuschüchtern.

Viele Begriffe dieser Definition sind interpretationsbedürftig. Der Richtliniengeber schlägt deshalb verschiedene Indizien zur Ermittlung des missbräuchlichen Charakters einer Klage bzw. eines Antrags vor, die es durch den Gesetzgeber und ihm folgend die Rechtsprechung zu konkretisieren gilt. In der Literatur wird hierfür eine Handhabung angelehnt an § 8c UWG (missbräuchliche Geltendmachung von Ansprüchen) oder an den zur Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung anhand § 114 Abs. 2 ZPO entwickelten Maßstäben vorgeschlagen.

Einschüchterungsklagen in Deutschland selten – mutmaßlich

Deutschland wird in Untersuchungen als vergleichsweise resilient gegenüber SLAPPs angesehen. Mit 0,01 Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern befindet sich die Bundesrepublik am unteren Ende eines entsprechenden Rankings der Universität Amsterdam in Zusammenarbeit mit der Daphne Caruana Galizia Foundation und Greenpeace International. Angeführt wird das Ranking von Malta mit 19,93 Fällen; Österreich liegt mit 0,18 Fällen im Mittelfeld. 

Dabei lässt sich aber nicht ausschließen, dass künftige Untersuchungen und legislative Maßnahmen ein entsprechendes Dunkelfeld aufdecken werden. Denn spezifisch auf Deutschland bezogene Untersuchungen liegen bisher noch nicht vor. Erfahrungsgemäß neigen deutsche Gerichte zur Zurückhaltung, wenn es darum geht, einer Partei bei einer Klage verfahrenswidrige Zwecke zu unterstellen. 

Weiter Anwendungsbereich: Was ist grenzüberschreitend?

Missbräuchliche Klagen sollen nun durch die Richtlinie eingeschränkt werden können. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist allerdings kompetenzbedingt auf grenzüberschreitende Verfahren begrenzt (Art. 2 RL). Im Übrigen fordert die Richtlinie lediglich zu einer Umsetzung für rein innerstaatliche Sachverhalte auf (Art. 3 Abs. 1 und Erw.-Gr. 20 S. 2 RL).

Der grenzüberschreitende Bezug wird von der Richtlinie allerdings für alle Fälle prinzipiell vermutet. Ausreichend ist bereits, das nicht "alle für den betreffenden Sachverhalt relevante Elemente" im gleichen Mitgliedstaat befindlich sind. Dies müssen Verfahrensgegnerinnen und -gegner aktiv widerlegen (Art. 5 RL). Ausreichend ist beispielsweise, wenn es um Äußerungen über eine grenzüberschreitende Umweltverschmutzung geht, auch wenn beide Parteien im selben Mitgliedsstaat ihren Sitz haben und den Rechtsstreit vor einem Gericht ihres Sitzstaates austragen. 

Verfahrensgarantien unabhängig vom SLAPP-Verdacht

Um Personen, die sich "öffentlich beteiligen", vor SLAPP-Klagen zu schützen, sieht die Richtlinie verschiedene Verfahrensgarantien vor. Die ersten dieser Garantien setzen denkbar früh an, ohne dass das befasste Gericht der Frage nachgehen müsste, ob es sich überhaupt um eine SLAPP-Klage handeln könnte:

• Nach Art. 9 RL sollen Verbände, Organisationen, Gewerkschaften und andere Einrichtungen die Möglichkeit haben, Beklagte zu unterstützen, bspw. durch ein erweitertes Nebeninterventionsrechts nach §§ 66 ff. ZPO;

• gemäß Art. 10 RL sollen die angerufenen Gerichte die Möglichkeit haben, vom Kläger bzw. von der Klägerin eine Sicherheitsleistung zu verlangen. Diese Sicherheit kann neben den gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten auch einen etwaigen Schadensersatzanspruch des oder der Beklagten auf Grundlage der Richtline erfassen.

Diese Maßnahmen kann das Gericht auf Antrag des oder der Beklagten ergreifen. Wenn sich der nationale Gesetzgeber dazu entscheidet, kann er daneben auch eine ex officio Befugnis vorsehen (Art. 6 RL).

Offensichtlich unbegründete Klagen frühzeitig abweisen

Wenn es sich um eine "offensichtlich unbegründete" Klage handelt, soll das Gericht sie nach angemessener Prüfung frühestmöglich abweisen (Art. 11 RL). Gegen eine solche Abweisung stehen der Klägerseite Rechtsmittel offen (Art. 13 RL). Also alles wie gehabt? Nicht ganz:

Der Kläger oder die Klägerin soll in diesem Kontext die Beweislast tragen (Art. 12 RL). Hier tut sich ein interessanter Konflikt auf: Im Presserecht kommt es bei ehrverletzenden Äußerungen zur Anwendung des Rechtsgedankens aus § 186 StGB und damit zur Beweislastumkehr zulasten des oder der Äußernden. Dies hat das BVerfG im Sinne des Persönlichkeitsschutzes wiederholt gebilligt (s. etwa BVerfG, NJW 2016, 3360, Rn. 17). Die RL könnte nun so verstanden werden, dass dies in SLAPP-Verfahren nicht gelten soll und stattdessen die Klägerinnen und Kläger als Betroffene die Unwahrheit der erhobenen Vorwürfe beweisen müssten. Auch dies hat mit §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO eine Entsprechung im einstweiligen Verfügungsverfahren, auch wenn diese Vorschrift nach der Einschränkung der Praxis des einseitigen Erlassverfahrens durch das BVerfG (vgl. NJW 2021, 2020) nicht mehr häufig zur Anwendung kommt. Allerdings darf man diese Lesart der Richtlinie bezweifeln, wenn man Erwägungsgrund 39 der RL hinzuzieht. Denn dort heißt es, dass die Union lediglich die in den Mitgliedstaaten geltende Beweislastverteilung klarstellen wollte. Der Kläger oder die Klägerin soll danach lediglich substantiieren müssen, dass die Klage nicht offensichtlich unbegründet ist.

Die frühzeitige Abweisung unbegründeter Klagen bewegt sich so oder so in einem Spannungsfeld zwischen einem effektiven Persönlichkeitsschutz einerseits und der Äußerungsfreiheit andererseits. Dabei hat das Gericht die Justizgrundrechte beider Seiten zu beachten. Wie eine frühzeitige Abweisung in diesem Konflikt vereinbar mit potenziell betroffenen Persönlichkeitsrechten gelingen soll, beantwortet die RL nicht. Von der vorzeitigen Abweisung von SLAPP-Verfahren in einem beschleunigten Verfahren, die das Herzstück des Kommissionsentwurfs gewesen ist, ist damit über die Erwägungsgründe der RL hinaus nicht mehr viel übriggeblieben. 

"Waffengleichheit" über das Kostenrecht

Hat das Gericht eine Klage abgewiesen und dabei festgestellt, dass es sich um eine SLAPP-Klage handelte, ist die Klägerseite verpflichtet, sämtliche Kosten der Rechtsverteidigung der Beklagten zu tragen (Art. 14 RL). Diese Pflicht beschränkt sich ausdrücklich nicht auf die RVG-Sätze, sondern wird nur bei unverhältnismäßigen Gebühren beschränkt. Dies weicht vom deutschen Kostenrecht ab, über das man nur die gesetzlichen Gebühren nach RVG verlangen kann. 

Die in der RL vorgesehene Ausweitung der erstattungsfähigen Kosten ist mit Blick auf die "Waffengleichheit" bei der Verteidigung gegen derartige Klagen sachgemäß, da SLAPP-Klägerinnen und -Kläger – oftmals große Unternehmen oder Personen mit großen Ressourcen – erfahrungsgemäß ohne Rücksicht auf die Kosten sehr aufwändig agieren, weshalb eine Verteidigung nach RVG-Sätzen bereits strukturell zu einer Benachteiligung führen würde. 

Sanktionsmöglichkeiten sollen abschrecken

Darüber hinaus sollen Gerichte gemäß Art. 15 RL wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen festgestellte SLAPPs ergreifen können. Hierzu zählt die Richtlinie insbesondere den Schadensersatz und die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung. Die Ausgestaltung überlässt sie den Mitgliedstaaten. Hier besteht die Möglichkeit, an bereits bestehende Regelungen anzuknüpfen. So sehen etwa § 200 StGB und § 103 UrhG vergleichbare Pflichten vor. Eine Sanktion in Form einer Mutwilligkeitsgebühr entsprechend § 34 BVerfGG wird ebenfalls diskutiert.

Auch eine Sanktionierung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich auf Klägerseite an SLAPPS beteiligen, wird diskutiert. Eine solche sieht die RL jedoch nicht vor, Art. 15 erlaubt nur die Sanktionierung der beteiligten Partei. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang an berufsrechtliche Regelungen. 

SLAPPs sind auch ein deutsches Problem

Bis zur Umsetzung der Richtlinie müssen sich deutsche Gerichte aktuell noch anderweitig behelfen. In einem Verfahren vor dem LG Berlin II, in dem gegen eine äußerungsrechtliche Klage der Einwand erhoben worden war, es handele sich um eine SLAPP-Klage, weshalb dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehle, ging das Gericht darauf noch nicht ein und wies die Klage schlicht als unbegründet ab. In einem früheren Verfahren hat das KG die kommunikative Gegenwehr gegen SLAPPs für presserechtlich zulässig erachtet. Das OLG Dresden hat unterdessen die RL bereits ausdrücklich im Zusammenhang mit der Streitwertfestsetzung bei einer äußerungsrechtlichen Klage gegen einen Verein berücksichtigt.

Auch wenn in der Praxis die Auffassung vorherrschend scheint, bei SLAPPs handele es sich vor allem um ein Problem aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis, gibt es auch in Deutschland immer wieder derartige Einschüchterungsklagen. Dabei ist die Dunkelziffer von entsprechenden Abmahnungen, auf die häufig aus Angst vor dem Aufwand und den Kosten eines angedrohten Verfahrens Inhalte im Internet gelöscht werden, noch gar nicht berücksichtigt. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Chance nutzt, dieses Phänomen anzugehen und gleichzeitig die Justiz durch diese Verfahrensoption zu entlasten. 

Prof. Dr. Roger Mann ist Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Partner der Hamburger Kanzlei Damm & Mann. Dr. Tobias Hinderks ist Rechtsreferendar in Hamburg. Seine Dissertation hat er zum Thema "Strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung" verfasst.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Roger Mann und Dr. Tobias Hinderks, 28. Mai 2025.

Mehr zum Thema