Rechtsausschuss: Experten uneins über Regierungsentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens

Der im Rechtsausschuss des Bundestages am 11.11.2019 diskutierte Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (BT-Drsn.:19/14747; 19/14972) wird von Experten uneinheitlich beurteilt. Während der Richterbund das Reformvorhaben begrüßte, lehnten Vertreter aus der Anwaltschaft die Pläne weitgehend ab. Über den Gesetzentwurf soll schon am 15.11.2019 abgestimmt werden. Zum Thema hatten auch die FDP-Fraktion (BT-Drs.:19/14244) und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs.:19/13515) Anträge eingebracht.

Ziel des Gesetzentwurfs ist die Beschleunigung des gerichtlichen Strafverfahrens

Der Gesetzentwurf sieht zur Beschleunigung des gerichtlichen Strafverfahrens unter anderem vor, dass missbräuchlich gestellte Befangenheits- und Beweisanträge unter erleichterten Voraussetzungen abgelehnt werden können. Durch die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens für den Besetzungseinwand soll zeitnah Rechtssicherheit über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts geschaffen werden. Die Nebenklagevertretung soll durch die Bestellung oder Beiordnung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters gebündelt werden können. Auch sollen künftig gesetzlicher Mutterschutz und Elternzeit Gründe dafür sein, die Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zu einer Dauer von zwei Monaten zu hemmen. Schließlich soll in Gerichtsverhandlungen das Verbot eingeführt werden, das Gesicht ganz oder teilweise zu verdecken.

Mehr Befugnisse für Strafverfolger 

Zur Verfolgung des Wohnungseinbruchdiebstahls soll die Telekommunikationsüberwachung erweitert werden. Auch sollen die Möglichkeiten der DNA-Analyse im Strafverfahren noch weitreichender genutzt werden können. Darüber hinaus soll der Opferschutz im Strafverfahren weiter gestärkt werden. So sieht der Entwurf vor, die audiovisuelle Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten verpflichtend vorzuschreiben. Geplant ist auch die Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes.

Grüne kritisieren Eile des Gesetzgebungsverfahrens

Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Eile, mit der das Gesetzgebungsverfahren betrieben werde, und forderte, vor einem Beschluss des Rechtsausschusses erst das Wortprotokoll der Anhörung abzuwarten.

Richterbund begrüßt die geplante Reform

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, begrüßte die geplante Reform. Die gerichtliche Praxis warte darauf seit Jahren, denn Strafverfahren dauerten immer länger. 86% der Richter und Staatsanwälte sprächen sich für die geplanten Reformen aus. Mit dem Entwurf werde versucht, nur Auswüchse zu kappen, ohne Beschuldigtenrechte im Übermaß zu beschränken. Die vier zentralen Regelungen zu Befangenheitsanträgen, Besetzungsrügen, zum Beweisantragsrecht und zur Bündelung der Nebenklage seien ebenso wie die weiteren Regelungen im Grundsatz ausgesprochen sinnvolle Ergänzungen.

Richter üben aber auch Kritik

Seitens der Richterschaft gibt es aber auch teilweise Kritik: Bei der audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen und deren Vorführung in der Hauptverhandlung müsse noch eine gesetzgeberische Klarstellung erfolgen. Die im Entwurf zwingend vorgeschriebene Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen der zur Tatzeit erwachsenen Opfer von Sexualstraftaten und die Erweiterung der vernehmungsersetzenden Vorführung einer Aufzeichnung werden teils kritisch gesehen. Mit einer spürbaren oder nur nennenswerten Erleichterung für Opferzeugen, besonders mit der Entbehrlichkeit einer Vernehmung dieser Zeugen vor Gericht, werde regelmäßig nicht zu rechnen sein.

BGH-Richter: Erstinstanzliche Strafverfahren dauern zu lang

Der Richter am Bundesgerichtshof Andreas Mosbacher verwies in seiner Stellungnahme darauf, dass erstinstanzliche Strafverfahren vor den Landgerichten ungeachtet überschaubarer Tatvorwürfe und nicht überaus komplizierter Beweislage immer wieder unverständlich lange dauerten. Gesetzliche Änderungen wie die vorgeschlagenen reichten zur Behebung dieses Missstandes allerdings nicht aus. So müsse dringend in die Fortbildung der Vorsitzenden Richterinnen und Richter an den Landgerichten zum Thema effektive Verhandlungsführung investiert werden.

Wissenschaft vermisst übergreifenden rechtspolitischen Zweck der Reformen

Während zum Beispiel die geplante Erweiterung der DNA-Analyse auf Spurenmaterial von unbekannten Spurenlegern auch auf die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie auf das Alter seitens der Staatsanwaltschaft gelobt wurde, vermissen Vertreter der Lehre einen übergreifenden rechtspolitischen Zweck der Reformen. Neben durchaus sinnvollen Regelungen, wie etwa der Einführung eines bundesweit geltenden Gerichtsdolmetschergesetzes, gebe es problematische Änderungen hinsichtlich der Besetzungsrüge, des Beweisantrags- und des Befangenheitsrechts. Sie enthielten gravierende Einschnitte in Verfahrensgrundrechte des Beschuldigten ohne Mehrwert für eine Beschleunigung von Strafverfahren. Jahn kritisierte auch die Erweiterung der Telekommunikationsüberwachung zur Verfolgung des Einbruchsdiebstahls und die Erweiterung der DNA-Analysemöglichkeiten.

Anwälte befürchten mehr Fehlurteile durch zu schnellen Verfahrensabschluss

Stefan Conen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte, der Entwurf wolle keine Reform und Modernisierung des Strafverfahrens. Es gehe stattdessen darum, Formen des Strafprozessrechts abzuschleifen, die vermeintlich einem schnellen Verfahrensabschluss hinderlich seien. Dadurch wachse die Gefahr von Fehlurteilen. Die verhängnisvollen Tendenzen des Entwurfs zeigten sich besonders an den Regelungen zum Beweisantragsrecht, zur Besetzungsrüge und zum Befangenheitsrecht. Der Vertreter des Deutsche Anwaltvereins, Ali B. Norouzi, teilte die Kritik Jahns und Conens. Notwendig seien empirische Erkenntnisse zu den erst kürzlich erfolgten Änderungen der Strafprozessordnung, ehe weiterer Reformbedarf festgestellt werde. Diese fehlten völlig, sagte Norouzi. Die geplanten Änderungen hätten keinen Mehrwert für die Praxis und schüfen eher zusätzlichen Konfliktstoff für die Hauptverhandlung.

FDP fordert mehr Effektivität im Strafverfahren

Die FDP will mit ihrem Antrag erreichen, dass Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher gestaltet werden. Gerade die Möglichkeiten der Digitalisierung könnten sowohl die Qualität des Strafprozesses verbessern, als auch zu seiner Beschleunigung beitragen. Die Grünen schlagen zur Modernisierung des Strafverfahrensrechts vor, unter anderem die Bild-Ton-Dokumentation bei erstinstanzlichen strafgerichtlichen Hauptverhandlungen an Land- und Oberlandesgerichten obligatorisch zu machen.

Redaktion beck-aktuell, 12. November 2019.