Rechtsausschuss übt Kritik an Gesetzentwürfen zur Musterfeststellungsklage

Bei einer Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 12.06.2018, in der die Gesetzentwürfe der Koalition zur Einführung einer Musterfeststellungsklage sowie der Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Einführung einer Gruppenklage (BT-Drs.:19/243) diskutiert wurden, äußerten die Experten erhebliche Kritik an den Vorhaben. Durch das schnelle Gesetzgebungsverfahren mangele es an der Qualität der Entwürfe.

Geplantes Klagerecht für Massenverfahren

Mit der Einführung der Musterfeststellungsklage im Zivilrecht soll ein Rechtsschutzinstrument für durch unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbietern gleichartig geschädigte Verbraucher geschaffen werden. Eingetragene Verbraucherschutzverbände sollen die Möglichkeit erhalten, zugunsten von mindestens zehn Verbrauchern das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler anspruchsbegründender beziehungsweise anspruchsausschließender Voraussetzungen feststellen zu lassen, heißt es in dem Entwurf. Angesichts des erforderlichen hohen Aufwands im Einzelfall sähen Betroffene oft von einer Klage ab, und der unrechtmäßig erlangte Gewinn verbleibe bei dem Anbieter. Das Gesetz soll am 01.11.2018 in Kraft treten, um eine Verjährung zu verhindern, und war vor allem vor dem Hintergrund des Dieselabgasskandals gefordert worden. Die betroffenen Verbraucher sollen ihre Ansprüche zu einem Klageregister anmelden können. Außerdem soll das Musterfeststellungsurteil Bindungswirkung für nachfolgende Klagen der Verbraucher entfalten. Der Entwurf der Grünen sieht ebenfalls die Bündelung von Verbraucheransprüchen vor.

Kritik richtet sich gegen Zweistufigkeit des Klageverfahrens und überhastete Gesetzgebung

Kritikpunkte der Sachverständigen am Entwurf des Musterfeststellungsklagegesetzes betrafen vor allem die Schnelligkeit, mit der das Gesetz verabschiedet werden soll, was eine tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik, die für Deutschland juristisches Neuland sei, erschwere. Zum anderen für Kritik sorgte die geplante Zweistufigkeit des Verfahrens, nachdem einem Musterfeststellungsurteil eine Leistungsklage folgen müsse, welche einen unsicheren Ausgang haben könne.

Expertin: Verbraucher müssen zwei Mal vor Gericht gehen

Susanne Augenhofer von der Berliner Humboldt-Universität bezeichnete den Entwurf als "nicht überzeugend". Das Problem des "rationalen Desinteresses" werde damit nicht gelöst, denn Verbraucher seien gezwungen, zwei Mal vor Gericht gehen zu müssen. Für den Bund der Versicherten erklärte dessen Vorstandsprecher Axel Kleinlein, trotz der Defizite im Entwurf für die Musterfeststellungsklage werde die Einführung dieser neuen Klagemöglichkeit in die Zivilprozessordnung grundsätzlich unterstützt. Nach jahrelangem Stillstand dürfe dieses wichtige rechtsstaatspolitische Thema nicht erneut jahrelang geschoben werden. Allerdings hätte ein neu einzuführendes Rechtsdurchsetzungsinstrument nicht nur lediglich als Feststellungsklage, sondern gleichzeitig auch als Leistungsklage ausgestaltet werden müssen.

Verbraucherzentrale ist weitgehend zufrieden

Otmar Lell vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüßte den Gesetzentwurf als wichtigen Meilenstein zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung. An einzelnen Punkten sieht der vzbv noch Bedarf für Verbesserungen und bat die Abgeordneten um Berücksichtigung bei der Beschlussfassung. So dürfe unter anderem die Klagebefugnis nicht weiter verengt werden, und die Anmeldung im Klageregister müsse für Verbraucher einfach und ohne anwaltliche Hilfe möglich sein.

Richterin: Individuelle Anspruchsdurchsetzung unvermeidbar

Gesa Lutz, Vorsitzende Richterin am Landgericht München I, betonte, dass den hohen Erwartungen der Öffentlichkeit, wonach dem Verbraucher ein einfaches, kostengünstiges und effektives Verfahren zur Verfügung gestellt wird, die Vielfältigkeit der Lebenssachverhalte entgegen steht. Deshalb verbleibe es folgerichtig nach der Durchführung der Musterklage bei der individuellen Anspruchsdurchsetzung. Der Vorschlag einer Gruppenklage im Gesetzentwurf der Grünen könne das Dilemma der Durchsetzung der individuellen Ansprüche nur scheinbar lösen.

Expertin vermisst "greifbare Konsequenzen"

Caroline Meller-Hannich von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erklärte, eine Musterfeststellungsklage sei zur zivilprozessualen Bewältigung von Streuschäden und Massenschäden ungeeignet, da sie keine greifbaren Konsequenzen habe und deshalb weder der Kompensation noch der Sanktion oder Prävention dienen könne. Sie werde zu umständlichen, langwierigen und häufig erfolglosen Nachverfahren führen, die berechtigten Erwartungen der betroffenen Personen an rechtssichere und effektive Justizgewährleistung enttäuschen und zu Haftungsrisiken für die klagenden Verbände führen. Verfahrensziel im kollektiven Rechtsschutz sollte demgegenüber die Entscheidung über die Leistungsansprüche von möglichst vielen von einem Schadensereignis betroffenen Personen sein.

DAV fordert Klagerecht für einzelnen Betroffenen

Carsten A. Salger vom Deutschen Anwaltverein betonte, es sei wichtig, dass es keinen Wettlauf zum Gericht gibt, sondern dass das Gericht den geeignetsten Musterkläger auswählen darf. Daher müsse auch der einzelne Betroffene zur Musterfeststellungsklage befugt sein und als Musterkläger in Betracht kommen. Außerdem sollte das Musterfeststellungsverfahren nicht nur auf das Verhältnis Verbraucher - Unternehmer beschränkt werden.

Entwurf überhastet ausgearbeitet

Martin Schmidt-Kessel von der Universität Bayreuth sagte, die Geschwindigkeit, mit der der Entwurf ausgearbeitet worden sei, "ist der Verfahrensqualität abträglich". Konkret bemängelte er die Klagemöglichkeiten, das "völlig sachfremde" Windhundprinzip bei der Klageanmeldung und die privatrechtliche Lösung der Klagebefugnis. Er prophezeite einen "Markt der Musterfeststellungskläger".

DIHK hält Musterfeststellungsklage für überflüssig

Stephan Wernicke, Chefjustitiar des Deutscher Industrie- und Handelskammertags (DIHK), bezweifelte die Notwendigkeit der Einführung neuer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes und kritisierte die im Entwurf vorgesehene Klagebefugnis. Schon heute hätten Verbraucher hinreichende Möglichkeiten der Rechtsverfolgung und gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche, auch bestünden Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung. Der Entwurf schwäche auch die Verhandlungsposition Deutschlands in der EU.

Redaktion beck-aktuell, 12. Juni 2018.