OVG Münster: Stadt Bochum muss Sami A. nach Deutschland zurückholen

Die Stadt Bochum muss den nach Tunesien abgeschobenen Islamisten Sami A. unverzüglich auf ihre Kosten nach Deutschland zurückholen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster mit Beschluss vom 15.08.2018 entschieden und die Beschwerde der Stadt Bochum zurückgewiesen. Die Abschiebung sei offensichtlich rechtswidrig gewesen, so das OVG (Az.: 17 B 1029/18).

Stadt Bochum sah keine Rückholverpflichtung gegeben

Der von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestufte Sami A. war am 13.07.2018 nach Tunesien abgeschoben worden. Dabei hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Abschiebung wegen Foltergefahr in seiner Heimat zuvor untersagt. Der Beschluss wurde der zuständigen Behörden aber erst zugestellt, als Sami A. am Morgen danach bereits im Flugzeug nach Tunesien saß. Das VG ordnete dann im Eilverfahren dessen Rückholung an. Dagegen legte die Stadt Bochum Beschwerde ein. Sie machte geltend, eine Rückholverpflichtung sei nicht gegeben, da die Abschiebung rechtmäßig gewesen sei, eine aktuelle Foltergefahr nicht bestehe und einer Rückholung Hinderungsgründe entgegenstünden. 

OVG: Abschiebung offensichtlich rechtswidrig

Das OVG folgte dem nicht. Die Abschiebung sei offensichtlich rechtswidrig gewesen. Sie hätte nach Ergehen des asylrechtlichen Aussetzungsbeschlusses (BeckRS 2018, 15452) nicht fortgesetzt werden dürfen. Dieser habe bewirkt, dass das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) widerrufene Abschiebungsverbot wegen drohender Folter vorläufig wieder zu beachten gewesen sei. Die Entscheidung sei dem Bundesamt um 8.14 Uhr und damit eine Stunde vor Abschluss der Abschiebung durch Übergabe des A. an die tunesischen Behörden bekannt gegeben worden. Die Stadt Bochum habe spätestens um 8.44 Uhr von ihr Kenntnis genommen. Es sei nicht dargetan, dass die Abschiebung nicht mehr hätte abgebrochen werden können. Im Übrigen hätte dies nicht die Rechtswidrigkeit ihres weiteren Vollzugs berührt, so das OVG.

Foltergefahr nicht Gegenstand des Verfahrens

Für eine Prüfung der Frage, ob dem Antragsteller in Tunesien Folter oder unmenschliche Behandlung drohe, sei hier kein Raum, erläutert das OVG weiter. Insoweit sei der Senat an die weiterhin wirksame Entscheidung des Bundesamtes aus dem Jahr 2010 gebunden. Die dort getroffene Feststellung gelte vorerst fort, nachdem das Verwaltungsgericht die Vollziehung des Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 20.06.2018 ausgesetzt habe. Über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs sei abschließend in dem (beim VG anhängigen) Klageverfahren zu befinden.

Keine dauerhaften Hindernisse für Rückholung

Laut OVG stehen einer Rückholung des A. dauerhafte Hinderungsgründe nicht entgegen. Ein an die evident rechtswidrige Abschiebung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot könne ihm nicht entgegengehalten werden. Jedenfalls bestehe die Möglichkeit der Erteilung einer Betretenserlaubnis. Seine gegenwärtige Passlosigkeit und eine mögliche Ausreisesperre stellten keine dauerhaften Hindernisse dar. Denn sie stünden im Zusammenhang mit den noch laufenden Ermittlungen der tunesischen Behörden gegen A., deren Ergebnis abzuwarten bleibe. Im Übrigen sei nicht dargetan, dass diplomatische Bemühungen um die Ermöglichung einer Ausreise von vornherein aussichtslos seien.

OVG kritisiert: VG wurde im Unklaren gelassen

Das OVG merkt an, dass die nunmehr eingetretene Situation vermieden worden wäre, wenn in dem asylrechtlichen Eilrechtsschutzverfahren der Bitte des VG um Mitteilung des Abschiebungstermins entsprochen worden wäre. Dies sei nicht geschehen. Stattdessen sei das VG über die Eilbedürftigkeit seiner Entscheidung im Unklaren gelassen worden, indem ihm zwar die Flugstornierung für den 12.07.2018, 22.15 Uhr, nicht aber die Flugbuchung für den Folgetag, 6.30 Uhr, mitgeteilt worden sei. 

Tatsächliche Rückkehr unklar

Die Stadt Bochum will den Beschluss laut dpa akzeptieren und keine weiteren rechtlichen Schritte einleiten. Wie schnell Sami A. nun nach Deutschland zurückkehren könnte, ist aber unklar. Er müsse von sich aus nach Deutschland zurückreisen, betonte ein Sprecher der Stadt Bochum. Die tunesische Justiz äußerte sich zurückhaltend in Bezug auf eine mögliche Rückholung des Mannes. "Prinzipiell liefert unser Land seine Bürger nicht aus, weil das gegen die Souveränität des Staates geht", sagte der Sprecher der für Terrorismus zuständigen Staatsanwaltschaft in Tunesien, Sofiane Sliti, am 15.08.2018 der Deutschen Presse-Agentur. Zudem gebe es noch immer Ermittlungen gegen Sami A.. Sein Pass sei noch immer in der Hand der Behörden. Wenn Deutschland eine Rückholung erreichen wolle, müsse es erst einmal eine offizielle Anfrage ans Außenministerium geben, um die rechtlichen Umstände zu klären.

OVG Münster, Beschluss vom 15.08.2018 - 17 B 1029/18

Redaktion beck-aktuell, 16. August 2018.