OVG Münster: Luftreinhalteplan für Aachen rechtswidrig

Der Luftreinhalteplan vom 01.01.2019 für die Stadt Aachen ist rechtswidrig und muss deshalb vom Land Nordrhein-Westfalen fortgeschrieben werden. Der Planung lägen veraltete Daten zugrunde und die Behörden hätten Fahrverbote nicht hinreichend genau geprüft. Ein sofortiges Fahrverbot für Dieselfahrzeuge sei aber derzeit noch nicht anzuordnen, urteilte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster am 01.08.2019 und bestätigte damit im Ergebnis die vorinstanzliche Entscheidung (Az.: 8 A 2851/18).

Sachverhalt

An verschiedenen Messstellen in der Stadt Aachen ist der seit dem 01.01.2010 einzuhaltende Grenzwert für Stickstoffdioxid (im Jahresmittel 40 Mikrogramm pro Kubikmeter) nicht eingehalten. Die zuständige Bezirksregierung Köln hatte zur Verbesserung der Luftqualität einen Luftreinhalteplan mit Wirkung ab 01.01.2019 aufgestellt. Fahrverbote sind darin aber nicht vorgesehen. Gegen den Luftreinhalteplan klagte die Deutsche Umwelthilfe und bekam erstinstanzlich Recht.

OVG: Aachener Luftreinhalteplan ist rechtswidrig

Das Oberverwaltungsgericht hat nunmehr das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt. Der Luftreinhalteplan 2019 für die Stadt Aachen sei rechtswidrig und müsse fortgeschrieben werden. In diesem Zusammenhang hat das Gericht allgemeine Anforderungen an Luftreinhaltepläne festgelegt. Diese müssten insbesondere (vorsorglich) zusätzliche Maßnahmen wie etwa Fahrverbote für den Fall bereithalten, dass die Grenzwerte mit den bisherigen Maßnahmen entgegen der Prognose nicht schnellstmöglich eingehalten werden. Das Gericht hat betont, dass die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoffdioxid verbindlich sind, auch wenn sie fachlich nicht unumstritten seien. Die Anbringung der Messvorrichtungen in Aachen halte sich im Rahmen der gesetzlichen Bandbreite (Höhe, Abstände zu Straßen und Gebäuden). Auch durch zulässige Ortsveränderungen seien keine wesentlich anderen Messergebnisse zu erwarten.

Behörden hätten Fahrverbote prüfen müssen

Der Luftreinhalteplan der Stadt Aachen sei jedenfalls rechtswidrig, weil die darin vorgesehenen Maßnahmen nicht den Anforderungen der Europäischen Richtlinie 2008/50/EG vom 21.05.2008 und des Bundesimmissionsschutzgesetzes genügten. Danach müssten die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans geeignet sein, den Zeitraum der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts "so kurz wie möglich" zu halten. Deshalb habe die zuständige Behörde auf der Grundlage aktueller Daten ernsthaft und differenziert alle geeigneten Maßnahmen, insbesondere auch Fahrverbote zu prüfen. Fahrverbote können auch dann angeordnet werden, wenn der gemessene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreite.

Möglichkeiten verhältnismäßiger Ausgestaltung von Fahrverboten  

Die anderslautende Vorschrift des § 47 Abs. 4a Satz 1 BImSchG verstoße insoweit gegen das Unionsrecht. Aber selbst dann, wenn Fahrverbote die einzig geeignete Maßnahme zur schnellstmöglichen Einhaltung der Grenzwerte wären, müsse die zuständige Behörde sie nicht zwingend anordnen. Vielmehr müssten Fahrverbote unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig sein. Von ihnen dürfe deshalb unter Umständen ganz oder teilweise abgesehen werden. Es komme insbesondere auch eine zeitliche Staffelung der Fahrverbote (etwa nach Euro 4 und Euro 5) in Betracht. Man könnte Übergangszeiträume schaffen, damit Betroffene sich auf eine neue Situation einstellen können. Zu berücksichtigen seien auch gravierende Belange der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft, die infrastrukturelle Bedeutung des betroffenen Verkehrsbereiches. Außerdem seien Ausnahmen für bestimmte Gruppen (etwa Handwerker oder Anwohner) und nachgerüstete Dieselfahrzeuge zu erwägen.

Gestufte Planungen nach Mainzer Vorbild wünschenswert

Wenn aufgrund der angeordneten Maßnahmen Stickstoffdioxidimmissionen stetig abnähmen, dürfe auf ein Fahrverbot verzichtet werden, wenn mit ihm - etwa wegen einer notwendigen Vorlaufzeit bei dessen Einführung - die Grenzwerte nur unwesentlich schneller eingehalten werden könnten als ohne. Sehe die Behörde von Fahrverboten ab, weil die Grenzwerte nach ihrer Prognose ohnehin kurzfristig eingehalten würden, müsse sie allerdings schon im Luftreinhalteplan für den Fall vorsorgen, dass die Prognose sich nicht bewahrheite. Als Ausgleich für die mit einer Prognose stets verbundenen Unsicherheiten müsse ein Luftreinhalteplan vorsehen, dass die Entwicklung der Luftschadstoffwerte regelmäßig kontrolliert werde. Ferner müsse der Luftreinhalteplan auf einer zweiten Stufe zusätzliche Maßnahmen wie etwa Fahrverbote für den Fall enthalten, dass die Grenzwerte mit den bisherigen Maßnahmen entgegen der Prognoseerwartung doch nicht schnellstmöglich eingehalten würden. Dass solche gestuften Planungen sinnvoll und möglich seien, zeige etwa der aktuelle Luftreinhalteplan für die Stadt Mainz.

Aachener Planung beruht auf veralteten Daten

Der Luftreinhalteplan 2019 für die Stadt Aachen genüge diesen Anforderungen nicht. Die Prognose beruhe nicht auf aktuellen, sondern veralteten Daten von 2015. Fahrverbote seien nicht hinreichend genau geprüft worden. Jedenfalls für die Monheimsallee hat sich die Bezirksregierung Köln nicht damit befasst, ob dort der Grenzwert mit einem Fahrverbot nicht schon früher als mit nur den angeordneten Maßnahmen eingehalten werden könnte. Auch hat sie unter anderem nicht berücksichtigt, dass Fahrverbote für Euro 3- und Euro 4-Diesel schon vor dem 01.09.2019 möglich sind. Unabhängig von diesen Fehlern sei der Luftreinhalteplan 2019 rechtswidrig, weil er keine konkreten zusätzlichen Maßnahmen (etwa Fahrverbote) für den Fall enthalte, dass die Grenzwerte entgegen der Prognose nicht eingehalten werden.

Anordnung eines Fahrverbots derzeit nicht erforderlich

Daher müsse das Land Nordrhein-Westfalen den Luftreinhalteplan 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unverzüglich fortschreiben. Dies dauere erfahrungsgemäß mehrere Monate. Der planerische Gestaltungsspielraum der Behörde sei aber nicht dergestalt auf Null reduziert, dass ein Fahrverbot zu einem bestimmten Zeitpunkt zwingend in Kraft zu setzen wäre. Ob es eines Fahrverbotes bedürfe, hänge im Wesentlichen von der Entwicklung der Messwerte und einer hinreichend einzelfallbezogenen Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch die Behörde ab. Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

OVG Münster, Urteil vom 01.08.2019 - 8 A 2851/18

Redaktion beck-aktuell, 1. August 2019.