OLG Schleswig: Klage von Anwohnern gegen Flughafen Sylt erfolgreich

Die Klage zweier Anwohnerinnen gegen den Flughafen Westerland/Sylt war erfolgreich, soweit sie eine Begrenzung des Dauerschallpegels auf 55 dB(A) verlangt haben. Das hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht am 11.09.2019 entschieden und die Betreiberin des Flughafens verurteilt, den Flughafen in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr so zu betreiben, dass die Grundstücke der Klägerinnen in Keitum nicht mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) belastet werden (Az.: 9 U 103/15).

Flugbetrieb zur Nachtzeit beschränkt

Die Klägerinnen besitzen Immobilien in Keitum auf Sylt und nehmen die Beklagte als Betreiberin des Verkehrsflughafens Westerland/Sylt auf Unterlassung von Lärmimmissionen in Anspruch. Die Beklagte betreibt den Flughafen aufgrund einer Genehmigung aus dem Jahr 1978, die in den Jahren 1996 und 2015 geändert wurde. Aufgrund eines Urteils des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2014 beschränkte die genehmigende Behörde, der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein, den Flugbetrieb zur Nachtzeit und ordnete weiter an, dass tagsüber ein Dauerschallpegel von 60 dB(A) an keiner Stelle einer festgelegten Schutzzone überschritten werden darf.

Deckelung des Lärmpegels auf 55 dB(A) gefordert

Mit ihren Klagen vor dem Landgericht Flensburg verlangten die Klägerinnen in erster Linie die Einstellung des Flugbetriebs und in zweiter Linie die Deckelung des Lärmpegels. Dem ist das LG nicht nachgekommen und hat die Klagen insgesamt abgewiesen. Mit ihren Berufungen verfolgen die Klägerinnen nun nur noch eine Deckelung des Lärmpegels auf 55 dB(A) für ihre Grundstücke in Keitum.

OLG: Zivilrechtlicher Abwehranspruch aus § 1004 BGB

Diese Berufungen hatten jetzt Erfolg. Den Klägerinnen stehe gegen die Beklagte ein zivilrechtlicher Abwehranspruch aus § 1004 BGB zu, weil ihr Grundeigentum durch die Fluglärmimmissionen beeinträchtigt werde und sie nicht verpflichtet seien, Fluglärm mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) zu dulden, so das OLG. Eine Überschreitung des Werts von 55 dB(A) sei für die Grundstücke der Klägerinnen in der Vergangenheit schalltechnisch gemessen worden. Hieraus leite sich rechtlich die Vermutung ab, dass es auch in Zukunft zu Überschreitungen kommen könne.

Öffentlich-rechtliche Genehmigung reicht nicht aus

Eine Pflicht der Klägerinnen, den Fluglärm zu dulden, ergebe sich nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte über eine öffentlich-rechtliche Genehmigung zum Betrieb des Flughafens verfüge. So liege dem Flughafenbetrieb der Beklagten kein bestandskräftiger Planfeststellungsbeschluss mit einer entsprechenden Öffentlichkeitsbeteiligung zugrunde. § 14 BImSchG, der den Bestand förmlich genehmigter Anlagen gegenüber privatrechtlichen Ansprüchen sichern soll, sei nur anzuwenden, wenn die Einstellung des Betriebs verlangt werde oder das Begehren zwangsläufig auf eine solche hinausläuft. Dies sei beim Flughafen Sylt nicht der Fall.

Negative Konsequenzen nicht ausreichend dargelegt

Dass die Einhaltung eines Dauerschallpegels von maximal 55 dB(A) im Bereich der Immobilien der Klägerin die Einstellung des Flugbetriebs oder auch nur eines nennenswerten Teils erfordern würde, habe die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. So stehe nicht fest, dass das Ziel der Beklagten – jährlich 300.000 Passagiere zu befördern, um den Flughafen kostendeckend zu betreiben – bei einer Deckelung des Lärmpegels nicht erreichbar sei und infolgedessen öffentliche Beihilfen wegfallen würden, was zu einer Schließung des Flughafens führen könnte. Insoweit habe die Beklagte nicht dargelegt, dass es bei der angestrebten Zahl von 300.000 Passagieren jährlich zwingend zu einer Überschreitung des Dauerschallpegels von 55 db(A) kommen müsse. Ob der Flughafen Westerland/Sylt darüber hinaus überhaupt über das Potenzial zu einer derartigen Entwicklung der Passagierzahlen verfüge, lasse sich dem Vortrag der Beklagten nicht hinreichend entnehmen.

Wesentliche Beeinträchtigung des Grundeigentums

Die Klägerinnen müssten eine Lärmimmission von mehr als 55 dB(A) auch nicht nach zivilrechtlichen Vorschriften (§ 906 Abs. 1 und 2 BGB) dulden, denn eine derartige Lärmeinwirkung stelle eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundeigentums der Klägerinnen dar. Für den Lärm, der durch Luftverkehr hervorgerufen werde, gebe es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts keine Grenz- oder Richtwerte, die als Grenze zwischen zivilrechtlich wesentlichem und unwesentlich Fluglärm herangezogen werden könnten. Deshalb müsse der Tatrichter bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen abstellen und darauf, was diesem unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten sei.

Empfinden der Anwohner maßgeblich

Der Senat habe für die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung darauf abgestellt, ob die Mehrzahl der Flughafenanwohner Geräuscheinwirkungen mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) zwischen 6 und 22 Uhr als starke oder äußerste Fluglärmbelästigung empfindet. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige habe zu diesem Zweck die von der Weltgesundheitsorganisation erstellte Zusammenfassung international durchgeführter Lärmstudien und die Lärmwirkungsstudie NORAH, die für andere Flughäfen in der Bundesrepublik erstellt worden ist, auf den Flughafen Sylt übertragen. Hiernach sei für die Situation am Flughafen Sylt und Umgebung davon auszugehen, dass auch dort von der Mehrzahl der Anwohner ein Tagesdauerschallpegel von mehr als 55 dB(A) als starke oder äußerste Lärmbelästigung empfunden wird.

Unzumutbarkeit der erforderlichen Maßnahmen nicht hinreichend dargelegt

Eine derartige Beeinträchtigung ihres Grundeigentums müssten die Klägerinnen auch nicht etwa deshalb hinnehmen, weil der Flugbetrieb eine ortsübliche Nutzung des Flughafengrundstücks darstelle und die nähere Umgebung präge. Eine solche Duldung würde sich nur ergeben, wenn die Beklagte die Überschreitung des Dauerschallpegels von 55 dB(A) nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindern könnte. Das habe die Beklagte aber nicht hinreichend dargelegt.

OLG Schleswig, Urteil vom 11.09.2019 - 9 U 103/15

Redaktion beck-aktuell, 11. September 2019.