OLG Karlsruhe: Unfallbegriff in der privaten Unfallversicherung

VVG § 187

Das Oberlandesgericht Karlsruhe äußert sich zur Abgrenzung zwischen einem versicherten Unfallereignis und einer nicht unter den Versicherungsschutz fallenden Verletzung durch Eigenbewegung an oder mit einem Gegenstand. Auch wenn sich der Versicherungsschutz in Erweiterung des Unfallbegriffs bedingungsgemäß auch auf die Zerrung oder Zerreißung von «Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln» durch «erhöhte Kraftanstrengung» erstrecke, werde hiervon eine durch Eigenbewegung verursachte Meniskusverletzung nicht erfasst.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.2018 - 12 U 106/18 (LG Karlsruhe), BeckRS 2018, 38404

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 5/2019 vom 07.03.2019

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Sachverhalt

Der Kläger, von Beruf Monteur/Rohrleitungsbauer, macht gegen die Beklagte im Zusammenhang mit einer auf einer Baustelle erlittenen Verletzung Ansprüche aus einer bei dieser bestehenden Unfallversicherung geltend. Er hatte sich umgedreht, um nach einem Werkzeug zu greifen, während sich sein Knie bei Arbeiten in einem Brennofen in einer Schiene befunden hatte. Dabei hatte er sich am Meniskus verletzt.

Das Landgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass kein bedingungsgemäßer Unfall vorliege.

Rechtliche Wertung

Das OLG wies die Berufung des Klägers zurück. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte aus der bei dieser unterhaltenen Unfallversicherung kein Anspruch auf Zahlung von Invaliditätsleistungen zu, weil die von ihm geltend gemachte Invalidität nicht auf einem Unfall im Sinne der dem Vertrag zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen beruhe.

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die bei Eigenbewegungen des Versicherungsnehmers und bei Arbeiten an oder mit einem Gegenstand zu beachten sind, liege kein von außen auf den Körper des Klägers wirkendes Ereignis vor. Die von diesem bei Arbeiten an einem Gegenstand durchgeführte und von seinem Willen getragene sowie gesteuerte Eigenbewegung (Umdrehen des Oberkörpers, um ein benötigtes Werkzeug zu erreichen) sei gezielt, planmäßig und für den Kläger durchgängig beherrschbar verlaufen. Dementsprechend liege keine unerwartete Ausweichbewegung vor.

Die Beschränkung durch die Schiene habe dabei außer Betracht zu bleiben, da diese keinen hinzutretenden irregulären Zustand der Außenwelt darstelle. Vielmehr habe sie von vornherein in dieser Form existiert und sei vom Kläger bewusst in dieser Form in Anspruch genommen worden. Aus diesem Grund habe sie auch nicht die notwendige unerwartete Eigendynamik entfaltet, die auf den Körper des Klägers dahingehend einwirkte, dass dieser stürzte, umknickte oder abglitt und die vom Kläger hätte abgefangen bzw. abgestützt werden müssen. Die Schiene, der jegliches dynamische Element fehle, weil sie ganz unabhängig von jeglicher menschlicher oder sonstiger Einwirkung einfach vorhanden sei, sei ausschließlich Objekt von Bemühungen geblieben.

Vorliegend seien nicht - wie für den Unfallversicherungsschutz erforderlich - Eigenbewegung (z.B. Laufen) und äußere Einwirkung (z.B. ins Wackeln geratene Last) dergestalt zusammengetroffen, dass die hinzutretende äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung (z.B. Straucheln infolge eines Fehltritts) genommen habe. Vielmehr sei die Eigenbewegung (Umdrehen) unter Nutzung der von Anfang an unveränderten äußeren Rahmenbedingungen (Schiene) erfolgt, die ihrerseits nicht Einfluss auf die - unveränderte und nach wie vor beherrschbare - Eigenbewegung genommen, sondern lediglich infolge ungeschickten Verhaltens zur vom Kläger erlittenen Verletzung geführt habe. Die Schiene habe nicht auf den Kläger, sondern er habe durch die Drehbewegung auf sie eingewirkt.

Weiter führt der Senat aus, könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf § 1 Ziffer 1 Satz 1 Alt. 2 der AUB berufen, wonach ein Unfall auch dann vorliegt, wenn die versicherte Person durch eine erhöhte Kraftanstrengung ein Gelenk verrenkt bzw. Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden. Da eine erhöhte Kraftanstrengung in diesem Sinn einen Einsatz an Muskelkraft erfordere, der über diejenigen Anstrengungen hinausgeht, welche üblicherweise bei alltäglicher körperlicher Tätigkeit für den Bewegungsablauf erforderlich sind, dürfte es hieran auf Grundlage der Angaben des Klägers fehlen. Dieser habe lediglich eine normale Eigenbewegung beschrieben, so dass nur von der hierzu notwendigen Kraftanstrengung auszugehen sei.

Hinzu komme, dass Meniskusverletzungen von der Erweiterung des Unfallbegriffs nicht umfasst würden, da es sich hierbei um Knorpelschäden und nicht um eine Verletzung der aufgeführten Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln handele.

Praxishinweis

In der Entscheidung ist der Subsumtion unter den konkreten Lebenssachverhalt eine abstrakte Darstellung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorangestellt, die bei Eigenbewegungen des Versicherungsnehmers und bei Arbeiten an oder mit einem Gegenstand zu beachten sind. Entsprechend werden auch Beispiele für ein versichertes Unfallereignis aufgeführt.

Im Zusammenhang mit Eigenbewegungen des Versicherungsnehmers ist es für ein unter den Versicherungsschutz fallendes Unfallereignis im Sinn von § 178 VVG maßgeblich, dass der «normale» Ablauf oder Abschluss der Eigenbewegungen von außen irregulär beeinflusst wurde (Rixecker in: Langheid/Rixecker, 6. Aufl. 2019, § 178 Rn. 7). Das ist beispielsweise der Fall beim Tritt in eine Vertiefung neben dem Plattenweg (BGH, Urteil vom 28.01.2009 - IV ZR 6/08, NJW-RR 2009, 679), beim Umknicken des Fußes auf Grund einer Bodenunebenheit (OLG Hamm, Urteil vom 15.08.2007 - 20 U 05/07, r+s 2007, 518) oder bei Verletzungen nach dem Abspringen vom Fahrrad (OLG Hamm, Urteil vom 17.08.1994 - 20 U 213/92, r+s 1995, 117).

Bei der Arbeit mit oder an einem Gegenstand erlittene Verletzungen beruhen dann nicht auf einem versicherten Unfallereignis, solange dieser ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelt. Nicht mehr nur Objekt von Bemühungen ist ein Gegenstand, der aus dem Gleichgewicht zu geraten oder umzustürzen droht und der beim Gegensteuern des Versicherungsnehmers dessen Gesundheitsschädigung nach sich zieht (vgl. BGH a.a.O.).

Redaktion beck-aktuell, 20. März 2019.