OLG Jena: Bildschirmfoto als Beweismittel

ZPO §§ 286 I, 371 I 2

Der Ausdruck eines Bildschirmfotos („Online-Printout") auf Papier ist ein Augenscheinsobjekt in Form eines Augenscheinssurrogates. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Jena, Urteil vom 28.11.2018 - 2 U 524/17, BeckRS 2018, 35992

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 14/2019 vom 12.07.2019

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Sachverhalt

K behauptet unter Vorlage des Ausdrucks eines Bildschirmfotos, B habe in einem eBay-Angebot eine Widerrufsbelehrung ohne ausreichende Informationen eingestellt. B wendet ua ein, der Ausdruck zeige kein innerhalb der EU aufrufbares Angebot. Das LG weist die Klage nach Beweisaufnahme ab. Der Zeuge Y, Mitarbeiter bei eBay, habe bekundet, dass der auf dem Ausdruck erkennbare Versandhinweis „möglicherweise kein Versand nach Kiribati" nur auf zwei Wegen zustande kommen könne: Entweder dadurch, dass das Angebot mit einer kiribatischen IP-Adresse, das heißt vom Inselstaat Kiribati aus aufgerufen, oder dadurch, dass bei der Suche das „Land" von Deutschland auf Kiribati geändert worden sei. Zwar habe der Zeuge Z bekundet, das Angebot von seinem Büro in Deutschland aus aufgerufen zu haben und dass das von ihm erstellte Bildschirmfoto und dessen Ausdruck die damalige Gestaltung des Angebots vollständig und zutreffend wiedergebe. Jedoch habe B ebenso bekundet, das Inserat nicht unter Angabe von Kiribati als Lieferanschrift gesucht zu haben, so dass nach den Darlegungen des Zeugen Y nur noch der Aufruf des Angebots von Kiribati aus in Betracht käme. Vor dem OLG ist ua streitig, um was für ein Beweismittel es sich beim Ausdruck handelt.

Entscheidung: Das Bildschirmfoto ist ein Augenscheinssurrogat

Der Ausdruck eines Bildschirmfotos auf Papier sei, anders als ein als Bildschirmdatei eingereichtes Bildschirmfoto, kein elektronisches Dokument iSd § 371 I 2 ZPO. Ein ausgedrucktes Bildschirmfoto sei in beweisrechtlicher Hinsicht auch keine Urkunde (Hinweis auf OLG Hamburg MDR 1988, 684). Ein Bildschirmfoto in Papierform sei vielmehr ein Augenscheinsobjekt iSv § 371 I 1 ZPO, allerdings in Form eines Augenscheinssurrogates (Hinweis auf Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 4. Aufl., § 371 Rn. 16). Seine Beweiskraft bemesse sich nach § 286 ZPO, soweit, wie im Fall, kein erhöhter Beweiswert aufgrund von qualifizierten Signaturen (Hinweis auf §§ 371 a, 371 b ZPO) bzw. elektronischen Zeitstempeln (Hinweis auf Art. 41 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt) vorliege.

Praxishinweis

Elektronisches Dokument

Das OLG Koblenz war der Ansicht, der Ausdruck eines Bildschirmfotos sei ein „elektronisches Dokument" iSv § 371 I 2 ZPO, das als Beweismittel ohne Übersetzung unmittelbar verwertet werden dürfe (OLG Koblenz BeckRS 2014, 123626 Rn. 13). Dies überzeugte kaum. Zuzustimmen ist dem OLG Jena. Denn der Begriff des „elektronischen Dokuments" in § 371 I 2 ZPO entspricht dem in §§ 126a, 126b BGB und § 130a. Gemeint ist ein Dokument, das nur elektronisch lesbar ist (Musielak/Voit/Huber, ZPO, 16. Aufl., § 371 Rn. 11). Ist dieses, wie es im Gesetz heißt, „vorzulegen", ist die Datei auf einem Datenträger zu übergeben (CD, DVD, USB-Stick, Festplatte etc.) oder per E-Mail zu übermitteln (BeckOK ZPO/Bach, 1.3.2019, § 371 Rn. 7). Ist die Datei passwortgeschützt, bedarf es zusätzlich der Bekanntgabe jenes Passwortes (Berger NJW 2005, 1016 [1020]).

Augenscheinssurrogat

Das OLG Jena nennt den Ausdruck eines Bildschirmfotos ein „Augenscheinssurrogat". Auch das überzeugt. In Augenschein zu nehmen wäre nämlich eigentlich der Bildschirm, auf dem die Webseite zu sehen war. Da das nicht mehr möglich ist und sich der Zustand des Webseite auch ändern kann, bleibt idR nur die Möglichkeit, ein Bildschirmfoto (= eine Art „Foto" vom eigenem Bildschirm) auszudrucken und den Ausdruck vorzulegen. Dieser Ausdruck steht dann wie andere Augenscheinssurrogate, etwa Lichtbilder, Straßen- und Landkarten, Skizzen, Videoaufnahmen, für die eigentlich anzuschauende Sache.

Ob einem Augenscheinsobjekt oder einem Augenscheinssurrogat ein Beweiswert zukommt, der dazu führt, dass das Gericht die Überzeugung gewinnt, eine tatsächliche Behauptung sei „wahr" (im Fall die Frage, ob der Ausdruck des Bildschirmfotos ein in Deutschland bzw. innerhalb der EU aufrufbares Angebot zeigt), ist eine Frage des Einzelfalls. Tatsächlich dürfte angesichts heutiger Möglichkeiten, Bilder, Bildschirme und erst Recht Ausdrucke zu manipulieren, einem Ausdruck nur eine geringe Beweiskraft zukommen. Ist der Ausdruck freilich geeignet, kann der Beweisgegner den Gegenbeweis führen (zB konkrete Verdachtsmomente gegen den Ausdruck vortragen). Hierzu kam es Fall nicht, da LG und OLG durch den Ausdruck den Beweis bereits nicht als geführt sahen.

Redaktion beck-aktuell, 18. Juli 2019.