Klima-Urteil aus Hamm: "Erfolgreich gescheitert"
© Heide Fest

Ein peruanischer Bauer lieferte sich einen denkwürdigen Prozess mit dem deutschen Stromkonzern RWE, doch das OLG Hamm wies seine Klage nun ab. Warum Klimaschützer trotzdem jubeln und wie das Ganze ins deutsche Rechtssystem passt, erklärt Jan-Erik Schirmer im Gespräch.

beck-aktuell: Das OLG Hamm hat am Mittwoch die Berufung eines peruanischen Bauern gegen den deutschen Stromkonzern RWE zurückgewiesen. Es ging darum, ob ein deutscher Konzern als Verursacher hoher CO2-Emissionen privatrechtlich von einem Menschen in Anspruch genommen werden kann, der am anderen Ende der Welt von Konsequenzen des Klimawandels betroffen ist. Herr Professor Schirmer, was genau forderte Saúl Luciano Lliuya von RWE?

Jan-Erik Schirmer: Herr Lliuya wollte einen anteiligen Kostenersatz, weil er sein Haus vor einer Überflutung geschützt hatte, die möglicherweise in den nächsten Jahren drohen könnte. Er hatte dickere Mauern gebaut und ein Stockwerk aufgesetzt und wollte, dass sich RWE an den Kosten beteiligt, weil der Konzern jahrzehntelang Treibhausgase emittiert habe, die zum Klimawandel geführt hätten. Aus diesem Grund schmelze der Gletscher, der oberhalb seines Grundstücks liegt, weshalb nun eine Gletscherflut drohe.

beck-aktuell: Worauf stützt er das Ganze denn rechtlich?

Schirmer: Der Anspruch basiert sowohl auf dem Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB als auch auf einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Das wird wie folgt konstruiert: Grundsätzlich lautet der Anspruch aus § 1004 BGB darauf, die Störung zu unterlassen. Der BGH hat aber in der Vergangenheit anerkannt, dass wenn der Störer nicht das Nötige tut, um die Störung zu unterbinden und der „Gestörte“ – also derjenige, der beeinträchtigt wird oder zu werden droht -  selbst Sicherungsmaßnahmen ergreifet, dieser ein Geschäft des Störers führt und damit ein Kostenersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag besteht.

Warum RWE? „Der Kläger wollte ins deutsche Recht“

beck-aktuell: Aber warum verklagt er ausgerechnet RWE und nicht einen anderen Konzern mit klimaschädlichem Geschäft, wie beispielsweise Shell?

Schirmer: Der Kläger argumentiert, irgendwo müsse man schlicht anfangen, aber die Gründe dahinter sind wohl andere. Diese Art von Klagen geht auf eine Forschungsarbeit eines Klimawissenschaftlers zurück, der einmal die größten 90 CO2-Emittenten weltweit identifiziert hat. Dafür hat er deren Bilanzen darauf untersucht, wieviel fossile Brennstoffe sie in der Vergangenheit erworben hatten, und daraus errechnet, wie viele Emissionen sie produziert haben müssten. Auf Basis dieser Arbeit war somit für RWE eine Datenbasis vorhanden, das gilt für viele andere Unternehmen nicht. Der zweite Grund, warum der Kläger sich RWE herausgepickt hat, ist der, dass er ins deutsche Recht kommen wollte, weil man zu Recht annahm, dass das deutsche Recht für eine solche Kostenersatzhaftung besser geeignet ist als ausländische Rechtsordnungen.

beck-aktuell: Aber wie begründet Lliuya denn nun, dass RWE eine Gletscherschmelze in Peru kausal verursachen würde?

Schirmer: Da liegt in der Tat ein wichtiges Problem. Das LG Essen hatte noch gesagt, das sei alles viel zu diffus, man wisse zwar, dass es den Klimawandel gebe, aber könne keine lineare Verursachungskette ausmachen. Das LG suchte also von den emittierten Emissionen in Braunkohlekraftwerken von RWE zum globalen Klimawandel bis zu einer Gletscherschmelze in Peru nach einer klaren Kausalität, die es aber nicht als gegeben sah. Das hat jedoch das OLG Hamm schon 2017 in seinem Beweisbeschluss zurückgewiesen. Nun hat das OLG auch in der mündlichen Urteilsbegründung viel argumentiert, warum der Anspruch grundsätzlich bestehen könnte, da dem Grunde nach sowohl eine naturwissenschaftliche als auch eine adäquate Kausalität vorliegen könnte.

"Die Studien sind in den letzten Jahren immer besser geworden"

beck-aktuell: Könnten Sie das noch einmal genauer erklären?

Schirmer: Zunächst braucht es eine naturwissenschaftliche Ursache-Wirkungs-Kette. Die Emissionen von RWE müssen also den Klimawandel angetrieben haben, was wiederum dazu führt, dass der Gletscher vor der Haustür des Klägers schmilzt, dadurch ein Überflutungsrisiko entsteht und damit das Eigentum des Klägers bedroht ist.

Dazu gibt es schon recht viele Studien, weil dieses Verfahren auch in der Naturwissenschaft ein gewisser Motor für Erkenntnis geworden ist. Viele Klimawissenschaftler haben angefangen, sich konkret mit diesem Gletscher zu befassen. Die Möglichkeiten, das naturwissenschaftlich nachzuweisen, sind daher in den letzten Jahren immer besser geworden. So wäre es auch in diesem Fall theoretisch möglich, für jedes einzelne der Kausalkettenglieder über Studien und Sachverständigengutachten einen Nachweis zu führen. Das OLG Hamm hat sich nun aber aus prozessökonomischen Gründen nur mit der Frage beschäftigt, ob überhaupt das klägerische Grundstück von einer Überflutung bedroht ist.

beck-aktuell: Inwiefern begrenzt dann noch das Kriterium der Adäquanz einen etwaigen Anspruch?

Schirmer: Damit ist gemeint, dass ein bestimmtes Verhalten das Risiko ausreichend erhöht hat und zum anderen, dass das Risiko des Schadenseintritts auch für einen objektiven Beobachter vorhersehbar war. Das Argument von RWE ist hier, dass man das Risiko gar nicht erst erhöhe, weil sein Anteil an den globalen CO2-Emissionen relativ gering sei. Der Anteil von RWE beläuft sich auf ziemlich genau 0,47 Prozent an den globalen Emissionen

Diese Perspektive weist jetzt aber das OLG Hamm zurück. Man stützt sich da auch auf Vorarbeiten der Literatur, die besagen, es komme nicht darauf an, den Emissionsbeitrag mit den Gesamtemissionen zu vergleichen, sondern verschiedene Emittenten miteinander zu vergleichen. RWE emittiert natürlich deutlich mehr als zum Beispiel der Durchschnittsbürger in Deutschland oder auch ein Landwirtschaftsbetrieb.

"Ich kann mich an Grenzwerte halten und trotzdem sorgfaltswidrig handeln"

beck-aktuell: RWE beruft sich zudem darauf, dass man im Einklang mit den Gesetzen gehandelt habe und dafür nun nicht in die Haftung genommen werden könne.

Schirmer: Genau, das ist ja auch erst einmal nachvollziehbar. Das OLG Hamm hat aber betont, dass es hier um eine Frage der Duldungspflicht geht, also ob eine im Sinne von § 1004 BGB „gestörte“ Person verpflichtet ist, eine Störung zu dulden. Hier verzahnt sich § 1004 BGB mit dem § 906 BGB, also einer Vorschrift aus dem Nachbarschaftsrecht.

§ 906 Abs. 1 S. 2 nimmt zwar auf öffentlich-rechtliche Grenz- und Richtwerte Bezug, aber nur als Indiz. Das heißt: Nur weil ich mich öffentlich-rechtlich legal verhalte, heißt das noch nicht, dass ich auch privatrechtlich pflichtgemäß agiere. Das ist das Konzept der Autonomie der privatrechtlichen Sorgfaltspflichten. So könnte es sein, dass RWE, obwohl es sich an geltende Grenzwerte gehalten hat, sich gegenüber einem Einzelnen sorgfaltswidrig verhalten hat. Das basiert im Grunde auf gefestigter Rechtsprechung, diese Klage bewegt sich also auf sehr bekanntem Terrain.

beck-aktuell: Wir sprechen gerade über das Verfahren, als hätte Herr Lliuya gewonnen. Doch das hat er nicht. Weshalb hat er nun im Ergebnis verloren?

Schirmer: Das OLG Hamm hat aus prozessökonomischen Gründen die Kausalkette in einzelne Glieder zerlegt und gesagt: Wir gucken uns nur das allerletzte Glied an, nämlich die Frage, inwiefern sein Grundstück von einer Überflutung bedroht ist.

Hier dachten im Vorfeld die meisten – inklusive mir –, dass das eigentlich das Unproblematischste an der Klage sei, weil der Kläger eben in einem Dorf wohnt, oberhalb dessen sich ein Gletschersee befindet und es Studien gibt, die sagen, es gebe ein sehr hohes Überflutungsrisiko.

Der vom Gericht beauftragte Sachverständigen kam aber zu den Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einer Flut kommt, in einem absehbaren Zeitraum von 30 Jahren sehr gering sei – das Gutachten spricht von unter einem Prozent Eintrittswahrscheinlichkeit. Und selbst wenn das Grundstück überflutet würde, stünde das Wasser nur ungefähr 20 Zentimeter hoch darauf.

Daraus hat das OLG Hamm ein rechtliches Argument gemacht. Nach der Rechtsprechung des BGH ist für einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB nötig, dass die drohende Beeinträchtigung sich mit einer gewissen Konkretheit abzeichnet – und das ist laut dem OLG Hamm aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen hier nicht der Fall. Aus diesem Grund waren für das Gericht all die anderen Fragen, über die wir gerade diskutieren, gar nicht mehr entscheidungserheblich. Aber das OLG Hamm hat auch sehr deutlich gesagt, dass die Klage eben nur an diesem Detail gescheitert ist. Im Übrigen sei man der Meinung, dass die Klage durchaus schlüssig war.

"Große Emittenten sollten sich nicht zu sicher sein"

beck-aktuell: Ist das damit der juristische Präzedenzfall, den die NGOs und auch der Kläger mit seiner Anwältin feiern? Oder hat RWE Recht, wenn das Unternehmen betont, dass es mit Blick auf die unabsehbaren Folgen für den Industriestandort Deutschland nicht sein könne, dass jedes Unternehmen für Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt haftbar gemacht werden könnte?

Schirmer: Ich glaube, hier haben beide Seiten ein bisschen Recht. Das Urteil aus Hamm könnte unter der Überschrift stehen: "Erfolgreich gescheitert". Es ist ein Präzedenzfall, weil zum ersten Mal ein deutsches Obergericht entschieden hat, dass solche Ansprüche dem Grunde nach bestehen können. Nun könnte man versuchen, in Zukunft besser geeignete Kläger vor deutsche Gerichte zu bringen. Große Emittenten wie RWE sollten sich also nicht zu sicher sein. Das Urteil ist ein großer Erfolg für die Bewegung, die für eine Klimahaftung argumentiert. Es ist zu erwarten, dass da in Zukunft noch weitere Verfahren angestrengt werden.

beck-aktuell: Gehen Sie denn davon aus, dass das Urteil des OLG Hamm etwas am Verhalten von Unternehmen ändern könnte?

Schirmer: Ich glaube schon. Es wird wohl nicht zu der Verhaltensänderung führen, welche die Befürworter der Klimahaftung im Sinn haben – die Unternehmen werden deshalb nicht ihr Geschäftsmodell umstellen. Schon die aktuelle Regulierung gibt dem Markt Anreize, weniger zu emittieren.

Durch solche Verfahren könnten Unternehmen aber in Zukunft durchaus eher dazu bereit sein, anzuerkennen, dass sie über ihr Verhalten in der Vergangenheit einen Beitrag dazu geleistet haben, dass der Klimawandel dieses Ausmaß angenommen hat, und zum Beispiel in Schutzmaßnahmen in besonders betroffenen Staaten investieren. Das Verfahren gegen RWE hat einen Scheinwerfer darauf gerichtet, dass es große Emittenten gibt, die zum Ausmaß des Klimawandels in höherem Maß beigetragen haben als andere.

beck-aktuell: Herr Professor Schirmer, vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Jan-Erik Schirmer ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Compliance und Nachhaltigkeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Die Fragen stellte Pia Lorenz.

Eine ausführlichere Version des Gesprächs hören Sie in der aktuellen Folge 55 von Gerechtigkeit & Loseblatt, dem Podcast von NJW und beck-aktuell.

 

 


Redaktion beck-aktuell, Pia Lorenz, 28. Mai 2025.

Mehr zum Thema