Das OLG Hamm hat die Klage eines Peruaners gegen den Energiekonzern RWE abgewiesen, da es keine ernsthaft drohende Beeinträchtigung seines Eigentums durch eine mögliche Flutwelle sah (Urteil vom 28.05.2025 – 5 U 15/17). Mit dem Zivilprozess wollte der Landwirt und Bergführer Saúl Luciano Lliuya erreichen, dass RWE sich an Kosten für Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Flutwelle durch den Gletschersee Palcacocha beteiligt. Der Vorsitzende Richter Rolf Meyer am OLG Hamm sprach bei der Urteilsbegründung von einem bedeutenden Prozess. Allein die Gerichts- und Gutachterkosten belaufen sich auf rund 800.000 Euro.
Zuvor hatte sich das LG Essen bereits mit der Klage befasst und diese abgewiesen. In der zweiten Instanz ließ das OLG Hamm nun eine umfassende Beweisaufnahme durchführen. Das Urteil ist rechtskräftig, eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Da der Streitwert zu gering ist, ist dagegen keine Beschwerde möglich. Der Rechtsweg zum BGH in Karlsruhe ist damit nicht möglich.
Sachverständige erkennen keine konkrete Gefahr
Lliuya, dem ein Grundstück am Rande von Huaraz in den peruanischen Anden gehört, fürchtet, dass infolge einer Klimawandel-bedingten Gletscherschmelze eine oberhalb der Stadt gelegene Lagune bald wesentlich mehr Wasser enthalten dürfte. Mögliche Gletscherabbrüche durch Erdbeben könnten dann Flutwellen auslösen, welche die Stadt und auch sein Grundstück überschwemmen könnten.
Zur Begründung der Entscheidung erklärte der Vorsitzende Richter Meyer, die Wahrscheinlichkeit, dass das Hausgrundstück durch eine Flutwelle infolge eines Gletscherabbruchs oder eines Felssturzes getroffen werde, sei mit rund 1% innerhalb der nächsten 30 Jahre zu gering. Bei dieser Sachlage komme es nicht mehr darauf an, der Frage nach einem kausalen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen von RWE und der behaupteten Gefahr nachzugehen.
Die Einschätzung des Gerichts stützt sich auf eine umfangreiche Beweisaufnahme, zu der unter anderem eine mehrtägige Ortsbesichtigung in Peru im Mai 2022 und eine zweitägige Anhörung von Sachverständigen im März 2025 in Hamm gehörten. Dabei ergab sich, dass selbst im Fall einer Flut lediglich eine Welle mit wenigen Zentimetern Wasserhöhe das Grundstück erreichen würde und keine strukturellen Schäden verursacht würden.
Einwendungen gegen die Herangehensweise der Gutachter wies das OLG zurück. Die konkrete Analyse anhand der örtlichen Gegebenheiten hielten die Richterinnen und Richter für sachgerecht. Eine alternative Bewertung unter Einbeziehung eines allgemeinen "Klimafaktors", mit dem die Eintrittswahrscheinlichkeit erhöht werden sollte, berücksichtigte das OLG nicht. Auch sonstige Kritikpunkte an den zugrunde liegenden Annahmen – wie eine zu niedrig angenommene Höhe der talseitigen Barriere, eine ungehinderte Wellenausbreitung oder das Fehlen behördlicher Maßnahmen zur Absenkung des Pegels des Sees – änderten an der Gefahreneinschätzung nichts. Das tatsächliche Risiko liegt daher laut OLG noch deutlich unterhalb der Wahrscheinlichkeit von 1%.
Rechtliche Maßstäbe bekräftigt, aber nicht überschritten
Zugleich stellte Meyer klar, dass eine große räumliche Distanz zwischen einem Verursacher von CO2-Emissionen und dem betroffenen Ort einer zivilrechtlichen Haftung grundsätzlich nicht entgegenstehe. Eine Verantwortlichkeit nach § 1004 BGB könne auch dann bestehen, wenn eine Beeinträchtigung nur drohe. Verweigere der Verursacher von CO2-Emissionen Maßnahmen endgültig, könne bereits vor dem Entstehen tatsächlicher Kosten festgestellt werden, dass er für diese entsprechend seinem Emissionsanteil aufkommen müsse – wie es Lliuya und seine Anwältin forderten.
Das Gericht wies ebenfalls zurück, dass eine solche Entscheidung zu einer allgemeinen Haftbarkeit aller Bürgerinnen und Bürger führen könnte, die bspw. Auto fahren oder sich sonst klimaschädlich verhalten. Dem stehe entgegen, dass Verursachungsbeiträge einzelner Personen so geringfügig seien, dass sie keine Haftung begründen könnten. Ebenso könne sich das Energieunternehmen nicht auf seinen nach deutschem Recht bestehenden Versorgungsauftrag berufen, um Beeinträchtigungen des Eigentums zu rechtfertigen.
Richter Meyer führte in seiner Begründung zudem aus, dass die Gefahren durch den Ausstoß von CO2 lange bekannt und wissenschaftlich belegt seien. Er verwies auf Studien aus den 1960er Jahren in den USA und auf Erkenntnisse von deutschen Forscherinnen und Forschern. Das jetzt vom OLG gefällte Urteil sei aber nichts Neues, betonte Meyer. "Wir haben uns nichts Neues ausgedacht", sagte er. Die Begründung sei ständige Rechtsprechung in Deutschland.
RWE: Präzedenzversuch gescheitert
In einer Stellungnahme begrüßte RWE die Entscheidung. Der Versuch, über dieses Verfahren einen Präzedenzfall für eine sogenannte zivilrechtliche "Klimahaftung" zu schaffen, sei damit gescheitert, meint das Unternehmen. Es betonte, seine Anlagen stets im Einklang mit dem geltenden Recht betrieben zu haben.
Eine Haftung für global verursachte Klimafolgeschäden – auch bei rechtmäßigem Verhalten – sei mit dem deutschen Rechtssystem nicht vereinbar. Ein solcher Weg hätte nach Einschätzung des Unternehmens unabsehbare Folgen für den Industriestandort Deutschland. Damit könnten in Zukunft alle emissionsverursachenden Unternehmen für Folgen haftbar gemacht werden, selbst wenn sie alle öffentlich-rechtlichen Vorgaben eingehalten hätten.
Rückenwind für künftige Klimaklagen
Die Rechtsanwältin des Peruaners, Roda Verheyen, äußerte sich in einer Mitteilung dankbar für die Ernsthaftigkeit, mit der das Gericht das Verfahren geführt habe. Sie betonte, dass große Emittenten grundsätzlich für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen zur Verantwortung gezogen werden könnten und das deutsche Zivilrecht im Kontext der Klimakrise anwendbar sei. Zwar habe das Gericht das Flutrisiko im konkreten Fall als zu gering eingestuft, dennoch sei das Urteil ein Meilenstein, der künftigen Klimaklagen gegen fossile Unternehmen weltweit Rückenwind verleihen werde.
Auch Greenpeace sprach von einem Erfolg für Klimaschützerinnen und -schützer. Aus Sicht der Organisation hat das Gericht klar gemacht, dass große, klimaschädlich wirtschaftende Unternehmen grundsätzlich zur Rechenschaft gezogen werden könnten.