OLG Frankfurt am Main: Testierfähigkeit bei Verdacht chronischer Wahnvorstellungen streng zu prüfen

Setzt eine Erblasserin, die zu Lebzeiten unter Bestehlungsängsten litt und deshalb Detektive beschäftigte, diese Detektive als ihre Erben ein, ist konkret zu prüfen, ob die Erblasserin infolge krankhafter Wahnvorstellungen testierunfähig war. Dies geht aus einem unanfechtbaren Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17.08.2017 hervor (Az.: 20 W 188/16).

Erblasserin setzte Detektive als Erben ein

Die Beteiligten streiten über die Testierfähigkeit einer kinderlos und verwitwet verstorbenen Erblasserin. Die Beschwerdeführer sind entfernte Verwandte der Erblasserin und mögliche gesetzliche Erben. Die Erblasserin setzte die mit ihr nicht verwandten Beschwerdegegner als ihre Erben ein. Zu Lebzeiten hatte sie die Beschwerdegegner als Detektive beschäftigt, da sie sich fortlaufend von Dieben bestohlen glaubte. Die Beschwerdegegner sollen ihr Haus unter anderem mit Kameras ausgestattet und einen mittleren fünfstelligen Betrag für detektivische Dienstleistungen erhalten haben. Ihr Testament begann mit den Worten: "Mein Testament! Ich bin im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Mein letzter Wille" und endete mit dem nicht unterschriebenen Zusatz: "Mein letzter Wille! Die Verwandtschaft soll nichts mehr erhalten."

AG: Testierunfähigkeit nicht feststellbar - "Lucidum intervallum" bei Testamentserrichtung möglich

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Erteilung eines Erbscheins an die Beschwerdegegner. Sie meinen, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten habe und deshalb nicht mehr testierfähig gewesen sei. Das Nachlassgericht stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins an die Beschwerdegegner vorliegen. Testierunfähigkeit könne nicht festgestellt werden, da die Möglichkeit bestehe, dass die Erblasserin bei der Testamentserrichtung in einem "lichten Augenblick" gehandelt habe. Dagegen wendeten sich die Beschwerdeführer mit ihrer Beschwerde.

OLG: Testierfähigkeit weiter aufzuklären

Das OLG hat den Beschluss aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Ohne weitere Aufklärung könne derzeit nicht verlässlich festgestellt werden, dass die Erblasserin bei der Testamentserrichtung in einem "lichten Augenblick" gehandelt habe. Testierunfähigkeit liege nicht nur vor, wenn der Erblasser sich keine Vorstellung davon mache, überhaupt ein Testament zu errichten oder dessen Inhalt und Tragweite nicht einordnen könne.

Testierunfähigkeit auch bei krankheitsbedingt unfreier Motivbildung gegeben

Testierunfähigkeit ist laut OLG vielmehr auch dann gegeben, wenn allein die Motive für die Errichtung des Testaments auf einer krankheitsbedingten Unfreiheit beruhen. Auch derjenige, der nicht in der Lage sei, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und entsprechend zu handeln, sei testierunfähig. Es gehe nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit hin beurteilen zu können. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Freiheit des Willensentschlusses durch krankhafte Störungen der Motiv- und Willensbildung aufgehoben ist. Grundsätzlich gebe es auch keine nach dem Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit. Die Fähigkeit zur Testamentserrichtung sei entweder gegeben oder fehle ganz.

Krankhafte wahnhafte Störungen können freie Willensbildung ausschließen

Weiter führt das OLG aus, dass wahnhafte Störungen in Abgrenzung zu alterstypischen "verbohrten" Meinungen dann die freie Willensbildung ausschließen könnten, wenn sie krankhaft sind. Dies sei der Fall, wenn eine "Abkoppelung von Erfahrung, Logik und kulturellen Konsens sowie der Verlust der Kritik und Urteilsfähigkeit“ vorliegen. Zur Testierunfähigkeit führten derartige Wahnvorstellungen, wenn sie sich auch inhaltlich auf die Frage der Rechtsnachfolge von Todes wegen bezögen.

Vorgaben für Nachlassgericht

Das Nachlassgericht muss dem OLG zufolge nun aufklären, ob die Erblasserin unter chronischem Wahn gelitten habe. Sofern sich eine chronische Störung bei der Beurteilung der Testierfähigkeit feststellen lasse, seien jedenfalls nach der dem Senat verfügbaren wissenschaftlichen Literatur kurzfristige "luzide Intervalle" praktisch ausgeschlossen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Erblasserin die Beschwerdegegner im Zusammenhang mit ihren gegebenenfalls wahnhaften Bestehlungsängsten kennengelernt habe.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17.08.2017 - 20 W 188/16

Redaktion beck-aktuell, 19. September 2017.