OLG Frankfurt am Main: Eintrittswahrscheinlichkeit von 20% kann noch "vereinzelte" OP-Risiken beschreiben

Die Angabe eines "vereinzelten" Operationsrisikos ist nicht verharmlosend und lässt die Wirksamkeit der ärztlichen Aufklärung unberührt, wenn die Wahrscheinlichkeit für eine postoperative Komplikation bei bis zu 20% liegt. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 26.03.2019 entschieden. Behandlungsrisiken müssten weder in genauen Prozentzahlen angegeben noch anhand der für Beipackzettel geltenden Häufigkeitsdefinitionen umschrieben werden (Az.: 8 U 219/16).

Kläger wurde auf "vereinzelte" Komplikation eines Falschgelenks hingewiesen

Der Kläger rutschte auf seinem Betriebsgelände bei Glatteis aus und stürzte auf den rechten Arm. Zur Behandlung begab er sich in die Hände der Beklagten (Klinikum und Arzt). Es wurde ein Oberarmschaftbruch diagnostiziert. Die Aufklärung über mögliche Operationsmethoden erfolgte unter anderem anhand eines Aufklärungsformblattes mit bildlichen Darstellungen. Unter der Rubrik "Komplikationen" wurde darauf hingewiesen, dass "vereinzelt" Zwischenfälle - etwa die Bildung eines sogenannten Falschgelenks - auftreten könnten, die weitere Behandlungsmaßnahmen erforderten.

Falschgelenkbildung erforderte weitere OP – Kläger forderte Schmerzensgeld und Schadensersatz

Der Kläger wurde nachfolgend im Weg der sogenannten Humerus-Nagelung operiert, die jedoch nicht zum Verheilen des Bruches führte. Es bildete sich ein Falschgelenk. Nach erneuter Operation unter Anwendung einer anderen Methode verheilte die Fraktur. Der Kläger begehrte Schmerzensgeld und die Feststellung der Eintrittspflicht für entstandene und zukünftige Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung. Das Landgericht wies die Klage ab. Dagegen legte der Kläger Berufung ein.

OLG: Kein Behandlungsfehler

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Der Kläger habe keinen Behandlungsfehler der Beklagten nachweisen können, so das OLG. Der von den Gerichten beauftragte Sachverständige habe vielmehr überzeugend deutlich gemacht, dass die Art der Versorgung des Bruches keine Auswirkungen auf die Bildung eines Falschgelenks gehabt habe.

Ärztliche Aufklärungspflicht nicht verletzt: Angabe "vereinzelten" Risikos nicht verharmlosend

Laut OLG war die Einwilligung des Klägers in den zunächst vorgenommenen Eingriff auch nicht mangels ordnungsgemäßer Aufklärung unwirksam. Insbesondere sei das mit „vereinzelt“ angegebene Risiko der Falschgelenkbildung in dem Aufklärungsbogen nicht verharmlost worden. Das Risiko der Bildung eines Falschgelenks liege nach Angaben des Sachverständigen bei etwa 20% aller Fälle. Die Formulierung "vereinzelt" bezeichne nach dem hier maßgeblichen allgemeinen Sprachgebrauch "eine gewisse Häufigkeit, die zumindest kleiner als ´häufig` ist".

Risiko muss nicht in genauen Prozentzahlen oder anhand der MedDRA-Häufigkeitsdefinitionen benannt werden

Genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen hinsichtlich eines Behandlungsrisikos müssten nicht mitgeteilt werden. Die verbalen Risikobeschreibungen in ärztlichen Aufklärungsbögen richteten sich auch nicht nach den Häufigkeitsdefinitionen (gelegentlich, selten, sehr selten etc.) in Medikamentenbeipackzetteln des MedDRA (Medical Dicitionary for Regulatory Activities). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch könne ein in etwa in jedem fünften Fall eintretendes Risiko durchaus noch als "vereinzelt" bezeichnet werden, so das OLG.

Kläger über alternative gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt

Die Beklagten hätten auch nicht versäumt, den Kläger über alternative gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären, führt das OLG weiter aus. Der Sachverständige habe vielmehr verdeutlicht, dass die vom Kläger bevorzugte sogenannte Plattenosteosynthese keine gleichwertige Behandlungsmöglichkeit gewesen wäre. Im Übrigen wäre diese Behandlungsvariante mit einem vergleichbaren Risiko für eine Falschgelenkbildung verbunden gewesen.

Kausalität zwischen erfolgter Behandlung und Schaden nicht bewiesen

Schließlich habe der Kläger jedenfalls nicht bewiesen, dass die vorgenommene Behandlung für den geltend gemachten Schaden ursächlich geworden sei. Er hätte darlegen und beweisen müssen, dass bei pflichtgemäßem Handeln der Schaden verhindert worden wäre. Dies sei ihm nicht gelungen. Vielmehr habe der Sachverständige deutlich gemacht, dass bei jeder Behandlungsmethode aufgrund der Risikofaktoren des Klägers ein vergleichbar hohes Risiko für eine Falschgelenkbildung bestanden habe.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 26.03.2019 - 8 U 219/16

Redaktion beck-aktuell, 8. April 2019.