OLG Dresden: Anspruch auf Neuwertspitze in Gebäudeversicherung auch bei Wiederherstellung in abweichender Bauweise und mit größerer Nutzfläche

VVG a. F. § 55; VGB 2001 § 27 Nr. 6; WohnflächenVO § 12 III

Die Voraussetzungen in der Gebäudeversicherung für die Auszahlung der Neuwertspitze liegen auch bei Vereinbarung einer strengen Wiederherstellungsklausel vor, wenn anstelle eines zweigeschossigen Wohnhauses ein Bungalow mit Flachdach erstellt wird. Dies hat das Oberlandesgericht Dresden entschieden. Bei dem gebotenen Größenvergleich finde § 2 Abs. 3 Wohnflächenverordnung keine Anwendung.

OLG Dresden, Urteil vom 29.05.2018 - 4 U 1779/17 (LG Leipzig), BeckRS 2018, 11063

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 13/2018 vom 28.06.2018

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt vom beklagten Versicherer die Zahlung des Neuwertanteils (sogenannte «Neuwertspitze») aus einer Gebäudeversicherung. Das versicherte Gebäude war bei einem Brand stark beschädigt worden. Bereits die Regulierung des Zeitwertschadens durch die Beklagte erfolgte erst auf ein Urteil des OLG Dresden vom 24.03.2015 (Az.: 4 U 1292/14, BeckRS 2015, 06770, Anmerkung Günther, FD-VersR 2015, 368649). Dieses Urteil enthielt weiter die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, auch die Neuwertspitze zu zahlen, sofern die Klägerin fristgerecht sicherstelle, dass die Entschädigung verwendet werde, um ein Gebäude gleicher Art und Zweckbestimmung wie das zerstörte wiederherzustellen.

Bei dem zerstörten Gebäude handelte es sich um ein Einfamilienhaus mit Satteldach, Keller (53,88 qm), Erdgeschoss (56,37 qm) und Dachgeschoss (49,83 qm). Das Gebäude verfügte über Wohnzimmer, Küche, Arbeitszimmer, Gäste-WC, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Bad mit WC sowie einen ausgebauten Dachboden. Die Klägerin lässt nun an gleicher Stelle einen einstöckigen Bungalow mit Flachdach und ohne Keller errichten. Die Wohnfläche wird in der Leistungsbeschreibung mit ca. 160 qm, in den Plänen mit ca. 137 qm angegeben. Das neue Gebäude soll über eine offene Küche mit Esszimmer, Wohnzimmer, Kaminzimmer, Gästezimmer, Gästebad/WC, einen Hauswirtschaftsraum, ein Schlafzimmer nebst Ankleide sowie ein Bad/WC verfügen. Der umbaute Raum des zerstörten Gebäudes betrug ca. 493 m³, der des neuen Gebäudes liegt bei 464 m³.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Voraussetzungen der strengen Wiederherstellungsklausel lägen nicht vor, da die Gebäude nicht vergleichbar seien, auch habe sich die Wohnfläche erheblich erhöht. Die Klägerin ist unter anderem der Auffassung, der ausgebaute und zu Wohnzwecken genutzte Dachboden des früheren Hauses sei beim Wohnflächenvergleich mit zu berücksichtigen, auch wenn er nach der Wohnflächenverordnung nicht als Wohnfläche gelte.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG das LG-Urteil auf und gab der Klage statt.

Rechtliche Wertung

Das derzeit noch in der Errichtung befindliche neue Gebäude sei gleicher Art und Zweckbestimmung wie das alte Gebäude, entschied das OLG. Zwar solle die Neuwertentschädigung in der Gebäudeversicherung nicht solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen bei der Wiederrichtung verursacht würden. Eine Wiederherstellung in diesem Sinne sei nur dann anzunehmen, wenn das neu errichtete Gebäude etwa dieselbe Größe aufweise wie das zerstörte und gleichartigen Zwecken diene, was allerdings eine moderne Bauweise nicht ausschließe (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2011 - IV ZR 148/10, BeckRS 2011, 20473, mit Anmerkung Grams, FD-VersR 2011, 321809).

Das neue Gebäude diene derselben Zweckbestimmung (Nutzung zu Wohnzwecken). Die abweichende Bauweise führe nicht zu einer Qualifizierung als Gebäude anderer Art. Das Bereicherungsverbot gehe nicht so weit, dass jede mit der Wiederherstellung verbundene Besserstellung ausgeschlossen bleiben müsse. Zu einer zulässigen Verbesserung könnten auch durch technische, wirtschaftliche und soziale Änderungen bedingte Modernisierungsmaßnahmen gehören (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.1990 - IV ZR 298/88, r+s 1990, 167). Vorliegend sei wesentlich, dass der Sohn der Klägerin, der das alte Haus mit seiner Familie bewohnt habe, aufgrund der Volljährigkeit der Tochter einen veränderten Wohnbedarf habe.

Die Nutzfläche des neuen Gebäudes weiche mit 25% nicht wesentlich von der des alten Gebäudes ab. Eine Abweichung der Nutzfläche von jedenfalls bis zu 40% bei etwa gleichbleibender Größe des umbauten Raumes sei nicht erheblich. Es komme auf eine Gesamtbetrachtung an.

Für die Berechnung der Größe des Gebäudes könne nicht auf die Berechnung nach Wohnflächenverordnung zurückgegriffen werden. Diese diene einem völlig anderen Zweck (Berechnung nach Wohnraumförderungsgesetz und für das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter). In den Versicherungsbedingungen sei nicht definiert, wie die Fläche zu berechnen sei. Der Wortlaut nenne weder Fläche noch Größe, sondern stelle allein auf die gleiche Art und Zweckbestimmung ab. Bei der Auslegung der Bedingungen sei in erster Linie auf den Wortlaut abzustellen. Zweck und Sinnzusammenhang seien zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Der Versicherungsnehmer könne daher annehmen, dass ihm eine vergleichbare Nutzfläche zur Verfügung stehen könne, wobei für ihn die tatsächlich genutzte Fläche unabhängig von ihrer rechtlichen Einordnung entscheidend sei.

Praxishinweis

Das OLG ließ offen, ob an der Auslegung der strengen Wiederherstellungsklausel auch nach Abschaffung des in § 55 VVG a. F. geregelten Bereicherungsverbotes festzuhalten ist, da er die Voraussetzungen hier als erfüllt ansah.

Auch nach Ansicht des OLG Frankfurt ist es unschädlich, wenn ein altes eingeschossiges Gebäude zweigeschossig wieder hergestellt wird. Eine solche Abweichung sei vom Tatbestandsmerkmal «in gleicher Art» noch umfasst (Urteil vom 08.07.2004 - 3 U 130/03, r+s 2006, 112).

Der BGH hat eine Vergrößerung der Grundfläche um ca. 37% und der Wohnfläche um ca. 47% unbeanstandet gelassen (BGH, Urteil vom 20.04.2016 – IV ZR 415/14, r+s 2016, 302; mt kritischen Anmerkungen von Günther, FD-VersR 2016, 378218).

Redaktion beck-aktuell, 5. Juli 2018.