OLG Celle: Haftung bei Kollision eines abbiegenden LKW-Gespanns mit sich von hinten nähernder Straßenbahn

StVO §§ 2, 7, 9, 17 I und II; HPflG § 13

Kommt es beim Abbiegen eines Kfz bei Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO und Verletzung des Vorrangs der Straßenbahn gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO zu einer Kollision des ausschwenkenden Anhängers mit einer auf der Nebenspur fahrenden Straßenbahn, haftet der Abbiegende nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Celle alleine.

OLG Celle, Urteil vom 27.11.2018 - 14 U 59/18 (LG Verden), BeckRS 2018, 31834

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 1/2019 vom 10.01.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin ist Eigentümerin eines 35,4 Meter langen Straßenbahnzugs. Dieser wurde vom beklagten Lkw-Gespann bestehend aus Zugmaschine und Auflieger mit einer Gesamtlänge von 16,5 Metern beschädigt.

Im Unfallbereich verlaufen die Schienen nicht auf einem eigenen Gleiskörper, sondern auf der Fahrspur des Individualverkehrs, wobei sich links neben dem mittig auf der Geradeausspur verlaufenden Schienenstrang eine Linksabbiegespur befindet, die zu dem Parkplatz eines Einkaufmarktes führt. Auf dieser Linksabbiegespur befand sich das Gespann der Beklagten. Als der Fahrer nach links abbog, fuhr die Straßenbahn auf ihrem Gleis gerade rechts am Lkw-Gespann vorbei. Es kam zur Kollision, weil der Auflieger beim Linksabbiegen ausscherte.

Der seitliche Abstand zwischen Straßenbahn und Lkw hatte zwar vor Beginn des Abbiegevorgangs rund 50 cm betragen, während der Bogenfahrt schwenkte das Hängerheck allerdings um rund 65 cm in den Gleisbereich hinein. So kam es zur Kollision.

Zum Unfallhergang hatte das Landgericht Zeugen vernommen sowie ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten erholt und gelangte sodann zum Ergebnis einer Haftungsverteilung 50:50. Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein und hat damit Erfolg. Ihre Ansprüche sind laut OLG-Urteil von den Beklagten zu 100% zu übernehmen.

Rechtliche Wertung

Das Gericht stellte fest, dass der Abbieger den Abbiegevorgang so lange zurückstellen müsse, bis er sicher sein könne, dass er keinen anderen Verkehrsteilnehmer auf dem neben ihm befindlichen Fahrstreifen - hier durch Ausschwenken des Anhängers bei der Bogenfahrt - gefährdet.  

Es sei sorgfaltswidrig vom Abbieger, sich unmittelbar vor dem Abbiegen nicht durch eine (zweite) Rückschau zu versichern, ob sich ein anderer Verkehrsteilnehmer nähert und es dadurch zu einer Gefährdung aufgrund des Ausschwenkens des Anhängers bei der Bogenfahrt kommt.

Ein Straßenbahnführer dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3, Abs. 9 und Abs. 3 Satz 1 StVO beachten und die Schienen nicht besetzen. Insoweit bestehe keine Wartepflicht gemäß § 11 Abs. 3 StVO. Ein Straßenbahnführer brauche auch nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug bei Annäherung der Straßenbahn in den Gleisbereich einbiegt. Dies gelte auch dann, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angekündigt habe.

Bei einem sehr kleinen Bogen schwenke der Anhänger weiter aus, habe der Sachverständige festgestellt, und bei einem großen Bogen weniger weit. Für den Trambahnfahrer sei nicht vorhersehbar gewesen, in welchem Umfang das vor ihm befindliche Fahrzeug beim Linksabbiegen nach rechts in den Schienenbereich ausschwenken werde. Die Besonderheiten seines Fahrzeugs habe der Lkw-Fahrer kennen müssen.

Praxishinweis

Die Entscheidung wird hier vorgestellt, weil über das Ausscheren von Aufliegern häufig falsche Ansichten vertreten werden. Gerade also weil es sich um eine nicht alltägliche Unfallkonstellation handelt, halten wir die Entscheidung für besonders lesenswert. Literatur und Rechtsprechung hat der Senat eingehend verarbeitet.

Redaktion beck-aktuell, 23. Januar 2019.