OLG Brandenburg: Relative Fahruntüchtigkeit allein reicht nicht für Kürzung der Leistung des Vollkaskoversicherers

VVG § 1; AKB A. 2. 5. 2

Um eine relative Fahruntüchtigkeit des Wagenlenkers zu bejahen, die eine Kürzung der Leistung des Vollkaskoversicherers rechtfertigt, genügt nicht allein die Feststellung einer Blutalkoholkonzentration im Bereich zwischen 0,2 und 1,1 ‰ (hier: 0,49 %). Zusätzlich müssen sich weitere Gegebenheiten, speziell alkoholtypische Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler, konstatieren lassen, die den Schluss rechtfertigen, dass der Fahrer nicht mehr in der Lage war, sein Fahrzeug sicher im Verkehr zu steuern. Dies hat das Oberlandesgericht Brandenburg entschieden.

OLG Brandenburg, Urteil vom 08.01.2020 - 11 U 197/18 (LG Cottbus), BeckRS 2020, 159

Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 2/2020 vom 30.01.2020

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Sachverhalt

Der Kläger war nach Auffassung des Landgerichts alkoholbedingt von der Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Dadurch hatte sein Pkw einen Totalschaden erlitten. Der Kläger behauptete, dass er nicht wegen seiner Alkoholisierung, die im fraglichen Moment 0,49 Promille betragen habe, von der Fahrbahn abgekommen sei, sondern wegen einer die Fahrbahn von links nach rechts querenden Wildschweinrotte.

Der Kläger erhielt vom LG 50% des Schadens als Ersatz von seiner Kaskoversicherung zugesprochen. Er begehrt die restlichen 50% in der Berufung und hat damit Erfolg.

Rechtliche Wertung

Das Oberlandesgericht konnte zunächst schon keine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit feststellen. Die Alkoholisierung habe mit 0,49 Promille im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit gelegen. Der ärztliche Untersuchungsbericht bei der Blutentnahme spreche insoweit zu Gunsten des Klägers: Sein Gang geradeaus sei unauffällig gewesen, eine Kehrtwendung habe er exakt durchgeführt, die Finger-Finger-Probe und die Finger-Nasen-Probe habe er sicher durchgeführt, die Sprache sei deutlich gewesen, der Denkablauf geordnet, das Verhalten beherrscht, die Stimmung unauffällig und äußerlich sei ein Alkoholeinfluss nicht merkbar gewesen.

Der Unfall, der sich vormittags zwischen 10.00 und 11.00 Uhr ereignet habe, sei also wohl auf andere Ursachen als auf den Alkohol zurückzuführen, so das Gericht weiter. Die Wildschweinrotte hätten zwar die als Zeugen vernommenen Insassen nicht durchgängig bestätigen können, aber das spreche eher für die Glaubwürdigkeit als dagegen. Einer der Zeugen allerdings habe schlüssig, glaubhaft und nachvollziehbar den Unfallablauf so geschildert wie vom Kläger behauptet. Davon habe sich der Senat bei der erneuten Vernehmung dieses Zeugen überzeugt. Auch anhand einer Karte von der Unfallörtlichkeit habe der Zeuge seine Aussagen nochmals erklärt.

Im Rahmen der relativen Fahruntüchtigkeit komme der Versicherung keine Beweiserleichterung zu. Eine Kürzung der dem Kläger zustehenden Ansprüche komme daher nicht in Betracht.

Praxishinweis

Das Oberlandesgericht hat die Voraussetzungen, um überhaupt zu einer «Schwere der Schuld» zu kommen, Schritt für Schritt nach den AKB nachvollzogen. Der Unterschied zwischen relativer und absoluter Fahruntüchtigkeit wird gerade an dem hier vorliegenden Sachverhalt sehr deutlich. Die Zeiten, in denen man grundsätzlich einem Versicherungsnehmer, der in Deutschland von einer Wildschweinquerung sprach, nicht glauben mochte, sind vorbei. Wildschweinunfälle mehren sich.

Redaktion beck-aktuell, 4. Februar 2020.