Keine Rückforderung von SGB-II-Leistungen nach Ausbildungsabbruch als "Jugendsünde"

Ein Langzeitarbeitsloser muss trotz Ausbildungsabbruchs über mehrere Jahre gewährte Grundsicherungsleistungen nicht zurückzahlen. Der Abbruch der Ausbildung sei nach mehr als dreieinhalb Jahren nicht mehr kausal für den Leistungsbezug, so das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Zudem sei die Rückforderung erheblicher Beträge wegen einer typischen "Jugendsünde" unverhältnismäßig.

Kläger sollte rund 51.000 Euro zurückzahlen

Geklagt hatte in dem Fall ein heute 28-jähriger, ungelernter Langzeitarbeitsloser aus Salzgitter, der langjährig Grundsicherungsleitungen bezieht. Im Jahre 2012 verlor er seinen Ausbildungsplatz wegen wiederholten, unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz. Zeitnah verhängte das Jobcenter wegen des Ausbildungsabbruchs eine 30%-Sanktion. Darüber hinaus verlangte es in der Folgezeit die Rückzahlung der über mehrere Jahre gewährten Grundsicherungsleistungen von rund 51.000 Euro. Da er seine Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt habe, müsse er die deshalb gezahlten Leistungen wegen sozialwidrigen Verhaltens erstatten. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Elektroniker hätte er sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt. Hiergegen ging der Mann vor. Nach seiner Ansicht könne sein damaliges Verhalten nicht mehr als Ursache seiner jetzigen Hilfebedürftigkeit gewertet werden.

Ausbildungsabbruch nicht mehr kausal für Leistungsbezug

Das LSG hat die Rechtsauffassung des Klägers jetzt bestätigt. Zwar stelle der Ausbildungsabbruch ein sozialwidriges Verhalten dar, jedoch sei er nach mehr als 3,5 Jahren nicht mehr kausal für den Leistungsbezug. Denn der weitere berufliche Werdegang nach Abbruch der ersten Berufsausbildung sei spekulativ. Bei einem unkooperativen, schwer vermittelbaren Arbeitslosen fehlten konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass er mit einem regulären Berufsabschluss durchgängig gearbeitet hätte.

Erhebliche Ersatzansprüche wegen "Jugendsünde" unverhältnismäßig

Zudem hat das Gericht zugunsten des Klägers einen Härtefall angenommen. Es widerspreche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz des Forderns und Förderns, wenn eine typische "Jugendsünde" eines damals 20-jährigen zu erheblichen Ersatzansprüchen führe, die jegliche Erwerbsperspektive zerstörten. Ausbildungsabbrüche seien bei jungen Menschen ein weit verbreitetes Phänomen, das Außenstehende als unklug, überstürzt oder irrational erkennen, während die Betroffenen diese Einsicht in aller Regel erst in späteren Lebensphasen gewinnen würden.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.01.2023 - L 11 AS 346/22

Redaktion beck-aktuell, 20. Februar 2023.