Schneller als der EuGH erlaubt: VW durfte Ende eines Dieselskandal-Verfahrens nicht forcieren

Die VW AG hatte versucht, das gegen sie laufende Gerichtsverfahren noch vor einer Klärung durch den EuGH zu beenden. Ihre Hoffnung, dadurch eine ungünstige Vorabentscheidung zum Dieselskandal zu verhindern, wurde nun allerdings zerschlagen. Das LG Ravensburg mahnt zur Geduld.

In einem Dieselskandal-Schadensersatzverfahren hatte das LG Ravensburg dem EuGH eine Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt und das Verfahren ausgesetzt. Der beklagte Autohersteller versuchte, dem Spruch aus Luxemburg durch ein Anerkenntnis zuvorzukommen und das Verfahren frühzeitig zu beenden. Zu Unrecht, wie das LG Ravensburg nun entschieden hat. Laut der 2. Zivilkammer war das Interesse an der Klärung der Rechtsfrage höher als das Interesse des Herstellers an der Beendigung (Beschluss vom 07.04.2025 – 2 O 190/20).

Zugrunde liegt eines von insgesamt 15 Verfahren zu unerlaubten Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren. Dem EuGH wurde dabei in mehreren Rechtssachen die Frage vorgelegt, ob sich der Hersteller durch die Geltendmachung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums aus der Haftung ziehen kann. 13 der insgesamt 15 Verfahren des LG Ravensburg hatten sich inzwischen durch Klagerücknahme erledigt, sodass das Vorabentscheidungsverfahren nur noch von zwei Verfahren abhängig war.

Auch hier versuchte der beklagte Autohersteller nun, die Verfahren zu beenden und damit eine allgemeingültige Entscheidung des EuGH zu verhindern. In dem anderen Verfahren nahm er dafür einen Einspruch gegen ein ergangenes Versäumnisurteil zurück (LG Ravensburg - 2 O 57/21), im hier vorliegenden Verfahren änderte er den Antrag zu einem uneingeschränkten Anerkenntnis. Er war der Auffassung, dass dadurch das Verfahren fortgesetzt werden und sofort ein Versäumnisurteil ergehen müsste. Durch die Erledigung des Verfahrens hätte sich eine Entscheidung des EuGH dann erübrigt. Das LG Ravensburg erteilte diesem Vorgehen allerdings eine Absage: Der Kläger hätte einem Anerkenntnisurteil erst zustimmen müssen.

Kein Anerkenntnisurteil ohne Zustimmung

Das LG kommt zu einem Ergebnis, das der ZPO in einer erstinstanzlichen Entscheidung eigentlich fremd ist. Im Grundsatz sei es nämlich in der Tat so, dass es nach einem Anerkenntnis der Gegenseite nicht mehr auf eine Zustimmung des Klägers ankomme. Schon das Ermessen des Gerichts führe in diesen Fällen meist automatisch zu einer Fortsetzung des Verfahrens und zum Erlass eines Anerkenntnisurteils.

Beim Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH liege die Sache allerdings anders. Sie binde nicht nur die Parteien untereinander, sondern beanspruche allgemeine rechtliche Wirkung. Eine Entscheidung hätte – so das LG - verbindlich festgelegt, wie das Unionsrecht an der fraglichen Stelle auszulegen gewesen sei. Deshalb gebe es auch ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an der Klärung der Rechtssache, zumal noch weitere Verfahren von der Vorlageentscheidung abhängig gewesen seien. Dass der Hersteller mit dem Anerkenntnis vor allem eine unangenehme Präzedenzentscheidung des EuGH verhindern wollte, sei hingegen "klar untergeordnet".

Eine Idee der ZPO

Laut dem LG ließe sich dieses Ergebnis auf die ZPO stützen: § 555 Abs. 4 ZPO sei analog anwendbar. Die Vorschrift legt fest, dass ein Anerkenntnisurteil nur auf gesonderten Antrag des Klägers ergehen kann. Sie gilt ihrem Wortlaut nach allerdings nur für das Revisionsverfahren vor dem BGH. In der Praxis kann der Kläger daher selbst wählen, ob er ein Anerkenntnis der Gegenseite annimmt, oder auf eine Leitsatzentscheidung des BGH besteht.

Diese Lage sei mit einer ausstehenden EuGH-Vorabentscheidung vergleichbar, so das LG. Der Gesetzgeber habe damit der Praxis einen Riegel vorschieben wollen, dass wichtige Revisionsentscheidungen durch Anerkenntnisse der Gegenseite umgangen werden. Da der EuGH dem BGH übergeordnet sei, hätten seine Entscheidungen sogar eine noch stärker allgemeingültige Wirkung – umso höher ist damit auch das Interesse an einer Klärung. Diese Lücke habe der Gesetzgeber übersehen, weshalb der § 555 Abs. 4 ZPO im Ergebnis analog anwendbar sei.

Das LG hat ausdrücklich offen gelassen, ob es im Falle einer Zustimmung des Klägers trotzdem passieren kann, dass das Verfahren pausiert bleibt.

LG Ravensburg, Beschluss vom 07.04.2025 - 2 O 190/20

Redaktion beck-aktuell, tbh, 22. April 2025.

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