Keine Aufhebung vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis bei erfolgreicher Revision

StPO §§ 111a, 335 I; StGB §§ 69, 315c I Nr. 2b, III; StVO § 5

Die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt durch den letzten Tatrichter. Das Revisionsgericht kann die Aufhebung daher nur dann selbst vornehmen, wenn es die angefochtene Entziehung endgültig beseitigt. Dies ist bei einer Urteilsaufhebung und Zurückverweisung nicht der Fall, wie das Oberlandesgericht Jena entschieden hat.

OLG Jena, Beschluss vom 18.03.2019 - 1 OLG 151 Ss 22/19 (AG Gera), BeckRS 2019, 7473

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 11/2019 vom 06.06.2019

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Sachverhalt

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von 9 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Mit Beschluss vom selben Tag hatte das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen. Vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort war der Angeklagte freigesprochen worden.

Gegen dieses Urteil vom 13.06.2018 hat der Angeklagte «Rechtsmittel» eingelegt. Dieses Rechtsmittel bezeichnete sein Verteidiger als Sprungrevision und begründete es mit der Sachrüge. Er beantragte, das Urteil aufzuheben, soweit eine Verurteilung erfolgt war, und den Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben.

Anfang Februar 2019 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, das Urteil samt Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Der Strafsenat hat am 18.03.2019 den hier mitgeteilten Beschluss verkündet und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen, weil die getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung nicht tragen.

Rechtliche Wertung

Das Amtsgericht hatte festgestellt, dass der Angeklagte in einer langgezogenen Linkskurve mehrere Fahrzeuge vor und hinter sich hatte. Entgegen gekommen sei ihm ein 40-Tonner, dem ein Sattelschlepper und ein weiterer Lkw folgten. Der Angeklagte habe in dieser Situation überholt. Der entgegenkommende Lkw habe zunächst leicht, dann aber stärker gebremst, um eine Kollision zu vermeiden. Der Angeklagte sei «in geringem Abstand» an den Gegenfahrzeugen vorbeigefahren und weitergefahren. Vermutlich der dritte Lkw im Gegenverkehr sei dann aufgefahren. Dadurch sei der Fahrer des Sattelschleppers eingeklemmt worden. Er konnte befreit werden, ohne Verletzungen außer einem Schock erlitten zu haben.

Diese Feststellungen reichten zur Verwirklichung der Tatbestände nicht, führte der Strafsenat des OLG aus. Zu einer Straßenverkehrsgefährdung gehöre zunächst eine Verletzung des § 5 StVO, denn das Überholen bei sichtbarem Gegenverkehr sei allein noch nicht ordnungswidrig. Ein falsches Überholen liege nur dann vor, wenn das Überholen unter Berücksichtigung des Gegenverkehrs für einen durchschnittlichen Fahrer nicht gefahr- und behinderungslos möglich sei.

Das angefochtene Urteil aber äußere sich nicht zu den Geschwindigkeiten der Fahrzeuge und den Entfernungen sowie Abständen. In der Strafzumessung werde davon gesprochen, dass «mehrere Personen gefährdet wurden». Es sei aber nicht ausgeführt worden, dass sie auch verletzt wurden. Wegen dieser Unklarheiten könne das Urteil keinen Bestand haben und eine andere Abteilung des Amtsgerichts müsse sich mit der Sache nochmals befassen.

Der Antrag, nach der Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und der Zurückverweisung die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, habe keinen Erfolg. Eine solche Entscheidung komme jedenfalls nicht bereits deshalb in Betracht, weil seit Erlass des amtsgerichtlichen Urteils die vom Tatrichter festgesetzte Sperrfrist bereits verstrichen sei. Für die Aufhebung sei auch nach Einlegung der Revision grundsätzlich der letzte Tatrichter zuständig.

Nur dann, wenn das Revisionsgericht die angefochtene Entscheidung endgültig beseitige, könne das Revisionsgericht auch die Fahrerlaubnisentziehung aufheben. Dies sei hier allerdings nicht der Fall. Mithin müsse der jetzt mit der Sache befasste Tatrichter sich auch mit der Entziehung der Fahrerlaubnis beschäftigen.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist für die Praxis sehr wesentlich. Bezüglich der Straßenverkehrsgefährdung und der Körperverletzung wird der Verteidiger seinem Mandanten das Urteil gut und leicht erklären können. Große Schwierigkeiten allerdings wird er mit solchen Erklärungsversuchen haben, wenn er dem Mandanten mitteilen muss, dass nach der Entziehung der Fahrerlaubnis vom 13.06.2018 und einer damals angeordneten Sperre von 9 Monaten auch am 18.03.2019 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis noch nicht entschieden werden konnte.

Redaktion beck-aktuell, 19. Juni 2019.