Hongkonger Gericht will Notstandsrecht prüfen lassen – Neue Proteste

Das prodemokratische Lager in Hongkong hat das Vermummungsverbot und den Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht vorerst nicht stoppen können, aber erstmal einen Teilerfolg erzielt. Ein Gericht lehnte eine einstweilige Verfügung ab, erlaubte aber eine ausführliche richterliche Überprüfung, die Ende Oktober stattfinden soll. Die Entscheidung fiel am 06.10.2019, als sich wieder Demonstranten auf den Straßen versammelten, um gegen die Hongkonger Regierung und den langen Arm der kommunistischen Führung Pekings zu protestieren.

Exekutivgewalt überschritten

Vor dem Gericht argumentierte die Verfassungsrechtlerin Gladys Li, dass Regierungschefin Carrie Lam ihre Exekutivgewalt überschritten habe, als sie am 04.10.2019 am Parlament vorbei das Vermummungsverbot erlassen habe. Auch hätte sie das Parlament jederzeit einberufen können, um das Gesetz zur Beratung und Annahme vorzulegen.

Widerspruch zu Grundgesetz und Gewaltenteilung

Das eigens dafür aktivierte, fast 100 Jahre alte Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit stehe im Widerspruch zu dem seit der Rückgabe der Kronkolonie 1997 an China geltenden Grundgesetz und der verankerten Gewaltenteilung, sagte die Juristin. Das Grundgesetz ist praktisch die Mini-Verfassung der nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" autonom regierten chinesischen Sonderverwaltungsregion.

Notstandsrecht viel zu vage

Das Notstandsrecht sei viel zu vage und gebe der Regierungschefin zu viel Macht, was auf Kosten der Öffentlichkeit gehe, befand Anwältin Li. Die Verfassungsexpertin ist Mitbegründerin der oppositionellen Civic Party, die im Parlament vertreten ist. Der sogenannte Legislativrat ist nicht wirklich frei gewählt und mehrheitlich von peking-freundlichen Abgeordneten besetzt. "Die wahre Gefahr für die Öffentlichkeit ist eine Führung, der es an Gefühl für die öffentlichen Interessen mangelt und die völlig den Bezug zur einfachen Bevölkerung verloren hat", sagte Anwältin Li und kritisierte das Notstandsrecht: "Wir müssen uns sehr sorgfältig die unbegrenzte Natur der Urquelle dieser sogenannten Vollmachten anschauen – und welche Art von Gift aus der Urquelle fließen könnte."

Regierungsanwälte verweisen auf Chaos

Die Regierungsanwälte konterten hingegen, es gehe um die öffentliche Ordnung, Brandstiftung und Gewalt auf den Straßen. "Wir sorgen uns um Chaos, wie es seit 1967 nicht mehr gesehen wurde." Damit wurde auf den damaligen Aufstand prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft verwiesen. Es war das letzte Mal, dass das Notstandsrecht bemüht worden war.

Gesetz wurde zweimal angewandt

Das Gesetz "für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr" von 1922 hatten die Kolonialherren nur zweimal angewandt: Um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen und bei den Unruhen 1967. Es gibt der Regierungschefin weitreichende Vollmachten, "die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden". Genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.

Knapp die Hälfte der U-Bahnstationen blieben geschlossen

Nachdem das komplette U-Bahnnetz am 05.10.2019 geschlossen war, wurde der Betrieb am 06.10.2019 teilweise wieder aufgenommen. Knapp die Hälfte der mehr als 90 U-Bahnstationen blieben aber geschlossen, da die Einrichtungen bei den Krawallen am 04.10.2019 schwer beschädigt wurden. Auch sollte die U-Bahn am 06.10.2019 nach 21 Uhr nicht mehr fahren, um weitere Reparaturen zu ermöglichen. Für den 06.10.2019 hatten Demonstranten zu zwei nicht genehmigten Märschen aufgerufen.

Hongkonger fürchten um Rechte

Die sieben Millionen Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber – anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik – mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2019 (dpa).