Großbritannien: Anhörung zu Parlamentszwangspause vor britischem Supreme Court gestartet

Das oberste britische Gericht, der Supreme Court, begann am 17.09.2019 mit seiner Anhörung zu der von Premierminister Boris Johnson auferlegten Zwangspause des Parlaments. Unlängst hatte ein schottisches Gericht die fünfwöchige Parlamentsschließung für rechtswidrig erklärt. Nach Dafürhalten der Richter wollte Johnson die Abgeordneten im Streit um einen ungeregelten Brexit "kaltstellen". Die Regierung legte gegen das Urteil Berufung ein. Eine Entscheidung könnte am 20.09.2019 ergehen.

Johnson weist Kritik zurück

Johnson bezeichnete die Kritik an seinem Vorgehen noch am 16.09.2019 in einem BBC-Interview als “Mumbo Jumbo“, also als Schwindel. Er fügte hinzu, das Parlament habe lediglich eine Handvoll Tage verloren durch die Zwangspause und werde in der Lage sein, den Brexit-Deal unter die Lupe zu nehmen, den er hoffentlich noch abschließen könne. Falls es nicht zu einer Einigung mit Brüssel komme, werde das Land am 31.10. aber trotzdem austreten, versicherte er nach einem Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Luxemburg.

Klagen zurückgewiesen: Politische, keine rechtliche Frage

Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren abgelehnt worden. Auch diese Entscheidungen sollen vom Supreme Court überprüft werden. Der Londoner High Court hatte die Klage mit der Begründung für unzulässig erklärt, es handle sich um eine politische, nicht um eine rechtliche Frage. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der High Court in Belfast. Erwartet wird, dass der Supreme Court auch an den beiden kommenden Tagen weiter verhandeln und dann am 20.09.2019 eine Entscheidung verkünden wird.

Streit berührt Kern der britischen Verfassung

Der Streit berührt den Kern der britischen Verfassung. Anders als in Deutschland und in vielen anderen Ländern handelt es sich dabei nicht um ein einzelnes Dokument, sondern um eine ganze Reihe von Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Konventionen. Sie entwickelt sich durch Gesetzgebung oder neue Interpretationen bestehender Regeln ständig weiter und wird neuen Verhältnissen angepasst. Manchmal ist daher auch die Rede von einer politischen Verfassung.

Kritiker werfen Johnson Verstoß gegen ungeschriebene Regeln vor

Das Funktionieren dieses Systems ist davon abhängig, dass sich alle Akteure an bestimmte ungeschriebene Regeln halten. Aus Sicht seiner Kritiker hat Johnson gegen dieses Prinzip verstoßen, weil er die Parlamentsschließung als politisches Mittel eingesetzt hat, um notfalls einen EU-Austritt ohne Abkommen gegen den Mehrheitswillen der Abgeordneten zu erreichen. Die Richter müssen nun entscheiden, ob sich das Parlament beispielsweise durch neue Gesetzgebung selbst gegen die angebliche Grenzüberschreitung der Regierung zur Wehr setzen kann oder ob ein Einschreiten der Justiz geboten ist. Gegebenenfalls müssten sie selbst auch noch einmal bewerten, ob Johnson das Mittel der Parlamentspause verfassungswidrig eingesetzt hat.

Premier schließt weitere Verlängerung der Brexit-Frist aus

Begonnen hatte die Zwangspause in der Nacht zum 10.09.2019. Bei der Schließungszeremonie kam es zu tumultartigen Szenen. Oppositionsabgeordnete hielten Protestnoten mit der Aufschrift “zum Schweigen gebracht“ hoch und skandierten “Schande über euch“ in Richtung der Regierungsfraktion. Das Parlament soll erst am 14.10.2019 - etwa zwei Wochen vor dem geplanten Brexit - wieder zusammentreten. Trotz Zwangspause konnte Johnson nicht verhindern, dass die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedeten, das den Premierminister zum Beantragen einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist verpflichtet, sollte bis zum 19.10.2019 kein Abkommen ratifiziert sein. Der Regierungschef will sich dem jedoch nicht beugen. Wie das gehen soll, ohne das Gesetz zu brechen, erklärte Johnson bisher nicht. Gut möglich, dass auch dieser Streit wieder vor Gericht landen wird.

Redaktion beck-aktuell, 17. September 2019 (dpa).