Konkret ging es um innergemeinschaftliche Lieferungen von Blindenwaren von Deutschland nach Österreich. Geklagt hatte der Inhaber einer anerkannten Blindenwerkstätte zur Herstellung und zum Vertrieb von Blindenwaren und Zusatzwaren im Sinne des § 4 Nr. 19 Buchst. b UStG. Dieser hatte neben seinen (teilweise steuerfreien) Inlandsumsätzen auch umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG) solcher Blindenwaren nach Österreich ausgeführt zur dortigen Veredelung und zum Weiterverkauf durch seine österreichische GmbH. Der Kläger machte den Vorsteuerabzug für die Eingangsumsätze, die mit diesen steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen im Zusammenhang standen, im Inland geltend.
Das Finanzamt trat dem entgegen. Es verwies auf eine Verwaltungsauffassung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), wonach grundsätzlich die Steuerbefreiungen ohne Vorsteuerabzug (z.B. § 4 Nr. 8 bis 29 UStG) den Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug (z.B. § 4 Nr. 1 bis 7 UStG) vorgingen. Danach sei vorliegend der Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen und die Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG komme nicht zur Anwendung.
FG wendet Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen vorrangig an
Das FG folgte dieser Verwaltungsauffassung nicht und gab der Klage statt (Urteil vom 14.11.2024 – 5 K 17/24). Es berücksichtigte dabei, dass es sich bei dem personenbezogenen eingeschränkt formulierten Steuerbefreiungstatbestand nach § 4 Nr. 19 UStG um eine nicht harmonisierte, innerstaatliche Regelung handelt. Nach einer unionsrechtlichen Übergangsvorschrift darf Deutschland die in § 4 Nr. 19 UStG genannten Umsätze der Blindenwerkstätten von der Umsatzsteuer befreien.
Zwar könnten Unternehmer, die unter § 4 Nr. 19 UStG fallende Leistungen im Inland erbringen, grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerfreiheit verzichten, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung sei für den Unternehmer hier tatsächlich aber gar kein solcher Verzicht möglich, da er die innergemeinschaftlichen Lieferungen zu Recht als umsatzsteuerfrei in seinen Rechnungen ausgewiesen habe. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 UStG nach § 9 Abs. 1 UStG sei in diesem grenzüberschreitenden Fall vielmehr gegenstandlos.
Die vorrangige Anwendung der Steuerbefreiung für die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG i.V.m. § 6a UStG) vermeide eine systemwidrige Mehrfachbelastung des Werkstätten-Inhabers mit Umsatzsteuer über alle Wertschöpfungsstufen hinweg. Denn in diesem Fall trete nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG kein Vorsteuerausschluss ein und die Besteuerung werde in den Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) verlagert.
Gegen das Urteil hat das Finanzamt die Revision beim BFH eingelegt (Az.: XI R 33/24).