EuGH bejaht Ausgleichszahlungen nach Flugausfall trotz "Wilden Streiks" des Flugpersonals

Ein "Wilder Streik" des Flugpersonals, der auf die überraschende Ankündigung einer Umstrukturierung folgt, stellt keinen “außergewöhnlichen Umstand“ dar, der es der Fluggesellschaft erlaubt, sich von ihrer Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen zu befreien. Die Risiken, die sich aus den mit solchen Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben, seien Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 17.04.2018 (Az.: C-195/17).

Fluggesellschaft verweigerte Reisenden Entschädigung für Ausfälle durch “Wilden Streik“  

Am 30.09.2016 kündigte die Fluggesellschaft TUIfly ihrer Belegschaft überraschend Pläne zur Umstrukturierung des Unternehmens an. Dies führte dazu, dass sich das Flugpersonal nach einem von den Arbeitnehmern selbst verbreiteten Aufruf während etwa einer Woche krank meldete. Infolge dieses “Wilden Streiks“ wurden zahlreiche Flüge von TUIfly annulliert oder hatten eine Ankunftsverspätung von drei Stunden oder mehr. Da TUIfly der Ansicht war, dass es sich um “außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Unionsverordnung über Fluggastrechte gehandelt habe, weigerte sie sich, den betroffenen Fluggästen die vorgesehenen Ausgleichszahlungen zu leisten. Die für die Klagen der Fluggäste zuständigen Amtsgerichte fragten den Gerichtshof, ob die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals in Gestalt eines “Wilden Streiks“ unter den Begriff “außergewöhnliche Umstände“ fällt, sodass die Fluggesellschaft von ihrer Ausgleichsverpflichtung befreit sein könnte.

EuGH: "Wilder Streik" stellt keinen “außergewöhnlichen Umstand“ dar

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flugpersonals nicht unter den Begriff der “außergewöhnlichen Umstände“ fällt, wenn sie auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch ein ausführendes Luftfahrtunternehmen zurückgeht und einem Aufruf folgt, der nicht von den Arbeitnehmervertretern des Unternehmens verbreitet wird, sondern spontan von sich krank meldenden Arbeitnehmern. Die Einstufung eines Vorkommnisses als “außergewöhnlicher Umstand“ setze voraus, dass dieses Vorkommnis seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft und von dieser nicht tatsächlich beherrschbar sei.

Streik nicht immer Grund zur Befreiung von Ausgleichspflicht

Dass es in einem Erwägungsgrund der Verordnung heiße, dass solche Umstände insbesondere bei Streiks eintreten könnten, bedeute noch nicht, dass ein Streik unbedingt und automatisch einen Grund für die Befreiung von der Ausgleichspflicht darstelle. Dies müsse im Einzelfall anhand der genannten Kriterien geprüft werden. Vorliegend seien die Voraussetzungen für die Einstufung als “außergewöhnlicher Umstand“ aber nicht erfüllt. Umstrukturierungen und betriebliche Umorganisationen gehörten zu den normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen von Unternehmen. Da es nicht ungewöhnlich sei, dass betriebliche Entscheidungen mit Interessen von Mitarbeitern kollidierten, seien die Risiken, die sich aus den mit entsprechenden Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben, als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der betreffenden Fluggesellschaft zu betrachten.

Streikereignis war vorliegend beherrschbar

Außerdem könne nicht angenommen werden, dass der "Wilde Streik" von TUIfly nicht tatsächlich beherrschbar gewesen sei, zumal er trotz der hohen Abwesenheitsquote nach einer Einigung zwischen TUIfly und dem Betriebsrat am 07.10.2016 geendet habe. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass diese Vorgehensweise der Belegschaft, weil sie nicht offiziell von einer Gewerkschaft initiiert wurde, für die Auslegung des Begriffs “außergewöhnliche Umstände“ keine Rolle spiele. Ansonsten hätte dies zur Folge, dass der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats abhinge. Dadurch würden die Ziele der Verordnung beeinträchtigt, ein hohes Schutzniveau für die Fluggäste sowie harmonisierte Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in der Union sicherzustellen.

EuGH, Urteil vom 17.04.2018 - C-195/17

Redaktion beck-aktuell, 17. April 2018 (dpa).