Italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde ging gegen Mobilfunkbetreiber vor
2012 verhängte die italienische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde AGCM Geldbußen gegen Wind Telecomunicazioni (jetzt Wind Tre) und Vodafone Omnitel (jetzt Vodafone Italia), da diese Unternehmen SIM-Karten vermarktet hatten, auf denen Internetzugangs- und Mailbox-Dienste vorinstalliert und -aktiviert waren, deren Kosten dem Benutzer in Rechnung gestellt wurden, wenn er nicht ausdrücklich ihre Abschaltung verlangt hatte. Die AGCM warf den beiden Unternehmen vor, die Verbraucher nicht zuvor angemessen darüber informiert zu haben, dass diese Dienste vorinstalliert und -aktiviert sowie kostenpflichtig waren. Die Dienste für den Internetzugang konnten sogar, unter anderem durch sogenannte Always-on-Anwendungen, also ständig aktive Anwendungen, vom Nutzer unbemerkt zu Verbindungen führen.
Zuständigkeiten unklar
Das von Wind Tre und Vodafone Italia angerufene Verwaltungsgericht für die Region Lazio, Italien, erklärte die Entscheidungen der AGCM für nichtig und stellte fest, für die Sanktionen sei eine andere Behörde, nämlich die Kommunikationsregulierungsbehörde AGCom, zuständig. Der mit diesen Rechtssachen im Rechtsmittelverfahren befasste Staatsrat, Italien, legte seinem Plenarsenat Fragen zur Vorabentscheidung vor. Mit Urteilen aus dem Jahr 2016 entschied dieser zunächst, nach italienischem Recht liege die Zuständigkeit für die Sanktionierung einer einfachen Verletzung der Informationspflicht auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation bei der AGCom, wohingegen für die Sanktionierung einer "unter allen Umständen aggressiven Geschäftspraktik" (wie insbesondere die "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung") – einschließlich auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation – die AGCM zuständig sei.
Staatsrat legt Sache dem EuGH vor
Der Staatsrat, Italien, stellt allerdings in Frage, ob die vom Plenarsenat vorgenommene Auslegung mit Unionsrecht vereinbar ist. Deshalb hat er entschieden, Vorabentscheidungsfragen zu stellen. Diese betreffen die Auslegung zum einen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, deren Ziel die Gewährleistung eines hohen Schutzes aller Verbraucher ist (RL 2005/29/EG), und zum anderen die Auslegung des Unionsrechts auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation (insbesondere der Rahmenrichtlinie 2002/21/EG und der Universaldienstrichtlinie 2002/22/EG, die die Verfügbarkeit hochwertiger, öffentlich zugänglicher Dienste durch wirksamen Wettbewerb und Angebotsvielfalt gewährleisten sollen, indem die nationalen Regulierungsbehörden – in Italien die AGCom – mit der Aufgabe betraut werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau speziell auf dem Sektor der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten). Insbesondere möchte der Staatsrat vom Gerichtshof wissen, ob das fragliche Verhalten der Telefonanbieter als "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung" oder allgemeiner als "aggressive Geschäftspraxis" im Sinn der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eingeordnet werden kann und ob das Unionsrecht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung" unter die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fällt, sodass die nationalen Regulierungsbehörden für die Sanktionierung eines solches Verhaltens nicht zuständig ist.
EuGH: Inanspruchnahme eines Dienstes muss auf freier Entscheidung beruhen
Der EuGH stellt fest, dass die Inanspruchnahme eines Dienstes eine freie Entscheidung des Verbrauchers darstellen muss. Wurde der Verbraucher jedoch weder über die Kosten der Dienste noch über ihre Vorinstallation und -aktivierung auf der von ihm gekauften SIM-Karte aufgeklärt (dies zu prüfen obliege dem nationalen Gericht), so beruhe die Erbringung dieser Dienste nicht auf seiner freien Entscheidung. Insoweit sei es unerheblich, dass für die Benutzung der Dienste in bestimmten Fällen möglicherweise eine bewusste Handlung des Verbrauchers notwendig war. Auch sei es unerheblich, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, diese Dienste abschalten zu lassen oder selbst abzuschalten, da er zuvor nicht über darüber aufgeklärt worden sei, dass es diese Dienste gibt.
Durchschnittsverbraucher wird nichts von Vorinstallation und -aktivierung wissen
Der Gerichtshof stellt fest, dass es, auch wenn es Sache des nationalen Gerichts ist, die typische Reaktion des Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln, nicht offensichtlich ist, dass der durchschnittliche Käufer einer SIM-Karte sich dessen bewusst wäre, dass sie vorinstallierte und -aktivierte Dienste enthält, die zusätzliche Kosten verursachen können, oder dessen, dass Anwendungen oder das Gerät selbst sich von ihm unbemerkt mit dem Internet verbinden können, noch, dass er über ausreichendes technisches Können verfügen würde, um diese Dienste oder automatischen Verbindungen auf seinem Gerät abzuschalten.
EuGH geht von unlauterer Praktik der Telefonanbieter aus
Der Gerichtshof kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass vorbehaltlich der Prüfung durch das nationale Gericht ein Verhalten wie das den betreffenden Telefonanbietern vorgeworfene die "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung" und somit nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine unter allen Umständen unlautere Praktik – genauer eine aggressive Praktik – darstellt.
Nationale Regulierungsbehörde nicht zuständig für Prüfung unlauterer Geschäftspraktik
Außerdem stellt der EuGH fest, dass im Hinblick auf die Rechte der Endnutzer die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht mit der Universaldienstrichtlinie kollidiert. Letztere lege den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste nämlich die Pflicht auf, im Vertrag bestimmte Informationen mitzuteilen, während erstere besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken wie die "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung" regelt. Somit stehe das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die "Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung" am Maßstab der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu prüfen ist, sodass nach ihren Regelungen die nationale Regulierungsbehörde im Sinne der Rahmenrichtlinie für die Sanktionierung eines solchen Verhaltens nicht zuständig sei.