Belgien verlängerte AKW-Laufzeiten ohne Umweltprüfungen
Im Jahr 2003 beschloss der belgische Gesetzgeber, der Stromerzeugung aus Kernenergie ein Ende zu setzen. Es sollte kein neues Kernkraftwerk mehr gebaut und bei den in Betrieb befindlichen Reaktoren nach 40 Jahren Laufzeit der Betrieb schrittweise, zwischen 2015 und 2025, eingestellt werden. Dementsprechend stellte das an der Schelde (Belgien, in der Nähe von Antwerpen sowie der niederländischen Grenze) gelegene Kraftwerk Doel 1 die Stromerzeugung Mitte Februar 2015 ein, und auch das ebenfalls dort gelegene Kraftwerke Doel 2 sollte die Stromerzeugung noch im selben Jahr einstellen. Ende Juni 2015 genehmigte der belgische Gesetzgeber jedoch erneut die Stromerzeugung in Doel 1 für weitere 10 Jahre (bis 15.02.2025) und verschob das Ende der Stromerzeugung in Doel 2 um fast zehn Jahre (bis 01.12.2025). Beide Kraftwerke wurden umfangreich modernisiert.
AKW-Laufzeitverlängerung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung zulässig?
Zwei belgische Umweltschutz-Vereinigungen erhoben Klage gegen das Gesetz über die Laufzeitverlängerung, weil die Verlängerung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit beschlossen wurde. Der belgische Verfassungsgerichtshof ersuchte den Gerichtshof um Klärung hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung.
EuGH: Belgien durfte AKW-Laufzeiten nicht ohne vorherige UVP-Prüfung verlängern
Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Wiederinbetriebnahme und umfangreiche Modernisierung der Kraftwerke ein Gesamtprojekt bilden, das hinsichtlich möglicher Umweltgefahren für die betroffenen Gebiete wie eine Erstinbetriebnahme zu behandeln ist. Deshalb hätte vor Erlass des Gesetzes über die Laufzeitverlängerung zwingend eine Prüfung in Bezug auf die Umweltauswirkungen gemäß der UVP-Richtlinie vorgenommen werden müssen. Die Nähe zur belgisch-niederländischen Grenze hätte sogar ein grenzüberschreitendes Prüfungsverfahren erfordert. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei nur dann entbehrlich, wenn eine Gefahr für die Stromversorgungssicherheit bestehe und dem betreffenden Projekt mit Blick auf die Einhaltung der UVP-Richtlinie erhebliche Dringlichkeit zukomme. Dies sei hier nicht anzunehmen.
AKW-Projekt hätte zusätzlich noch einer Habitat-Verträglichkeitsprüfung bedurft
Das Kernkraftprojekt hätte außerdem auch noch nach der Habitatrichtlinie auf seine Verträglichkeit mit den betroffenen geschützten Gebieten überprüft werden müssen und hätte bei festgestellter Unverträglichkeit nur zur Abwendung einer tatsächlichen und schwerwiegenden Gefahr der Unterbrechung der Stromversorgung gerechtfertigt werden können.
Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands zwar grundsätzlich möglich
Zu der Frage, ob der belgische Verfassungsgerichtshof beschließen kann, die Wirkungen des Gesetzes, das unter Außerachtlassung der Prüfungspflichten nach der UVP- und der Habitatrichtlinie erlassen wurde, aufrechtzuerhalten, hat der Gerichtshof betont, dass das Unionsrecht nicht verbietet, dass diese Prüfungen zur Legalisierung des betreffenden Projekts während oder sogar nach seiner Durchführung vorgenommen werden. Allerdings dürfe mit der Legalisierung das Unionsrecht nicht umgangen werden und die zur Legalisierung durchgeführte Prüfung müsse nicht nur die künftigen Umweltauswirkungen des Projekts, sondern auch die seit der Durchführung des Projekts eingetretenen Umweltauswirkungen berücksichtigen.
Vorübergehende Legalisierung aber nur zur Abwendung drohender Stromversorgungsunterbrechung
Eine Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands setze außerdem voraus, dass dies zwingend notwendig wäre, um die tatsächliche und schwerwiegende Gefahr einer Unterbrechung der Stromversorgung abzuwenden. In diesem Fall dürfe sich die Aufrechterhaltung aber nur auf den Zeitraum erstrecken, der absolut notwendig sei, um die betreffende Rechtswidrigkeit zu beseitigen.