Investitionsschutzabkommen zwischen Niederlande und Slowakei
1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen (BIT). Das BIT bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht beizulegen sind. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein.
Slowakei machte Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts zum Teil wieder rückgängig
2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft.
Schiedsgericht spricht niederländischem Investor Schadenersatz zu
2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein. Achmea trug vor, das genannte Verbot verstoße gegen das Abkommen und ihr sei dadurch ein Vermögensschaden entstanden. 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadenersatz in Höhe von etwa 22,1 Millionen Euro an Achmea zu zahlen.
BGH: Schiedsklausel mit AEUV vereinbar?
Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten – da Schiedsort Frankfurt am Main war – Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs. Sie vertrat die Ansicht, dass die Schiedsklausel im BIT gegen Art. 18, 267 und 344 AEUV verstoße. Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof wollte vom EuGH wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEUV vereinbar ist (EuZW 2016, 512). Derzeit gibt es 196 zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehende BIT, die ähnliche Klauseln enthalten.
EuGH: Schiedsklausel beeinträchtigt Autonomie des Unionsrechts
Laut EuGH ist die Schiedsklausel nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Sie beeinträchtige die Autonomie des Unionsrechts. Wie der EuGH ausführt, entscheidet nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der vom fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien. Das Unionsrecht sei dabei angesichts seiner Merkmale zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher könne das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben.
Schiedsgericht kein Teil des Gerichtssystems der Union
Das Schiedsgericht gehöre aber nicht zum Gerichtssystem der Union, sodass seine Entscheidungen geeigneten Mechanismen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts unterlägen. Der EuGH erläutert, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter habe, sodass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande sei. Folglich könne dieses Schiedsgericht nicht als Gericht "eines Mitgliedstaats" im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden und sei daher nicht befugt, den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen.
Keine wirksame Kontrolle durch vorlageberechtigtes Gericht eines EU-Staates
Laut EuGH unterliegt der Schiedsspruch auch nicht der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, das dem EuGH unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte. Der EuGH legt diesbezüglich dar, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig sei. Zudem lege das Schiedsgericht seine eigenen Verfahrensregeln fest und wähle insbesondere selbst seinen Sitz und folglich das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs gelte. Der EuGH weist darauf hin, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden könne, soweit das nationale Recht sie gestatte. Diese Bedingung sei im vorliegenden Fall aber nicht vollständig erfüllt, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsehe.
Rechtsprechung zu beschränkter gerichtlicher Kontrolle bei Handelsschiedsverfahren nicht übertragbar
Der EuGH betont, dass eine nur beschränkte Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zwar unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens legitim sein könne. Diese Überlegungen ließen sich jedoch nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. Denn während Ersteres auf der Parteiautonomie beruhe, leite sich Letzteres aus einem Vertrag her, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen seien, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibe, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein könne.