EuGH: Nicht-EU-Staatsangehöriger kann Aufenthalt auf Unionsrechte eingebürgerter Ehefrau stützen

Ein Nicht-EU-Staatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, kann ein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat besitzen, in dem sich dieser Unionsbürger aufgehalten hat, bevor er dessen Staatsangehörigkeit zusätzlich zu seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit erworben hat. Die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Aufenthaltsrechts dürfen nicht strenger sein als diejenigen, die in der Richtlinie über die Freizügigkeit der Unionsbürger vorgesehen sind. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 14.11.2017 entschieden (Az.: C-165/16).

Sachverhalt

Der Kläger des Ausgangsverfahrens - ein algerischer Staatsangehöriger - reiste 2010 mit einem auf sechs Monate befristeten Besucher-Visum nach Großbritannien und blieb rechtswidrig auch nach dessen Ablauf dort. Im Jahr 2014 heiratete er eine Spanierin, die sich in Großbritannien niedergelassen und durch Einbürgerung zusätzlich auch die britische Staatsbürgerschaft erworben hatte. Aufgrund dessen beantragte er eine Aufenthaltskarte als Familienangehöriger einer Staatsangehörigen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Der Antrag wurde abgelehnt, da die Ehefrau nach den geltenden Bestimmungen mit Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft  keine "EWR-Staatsangehörige" mehr sei. Der mit der dagegen gerichteten Klage des Mannes befasste High Court zweifelt an der Rechtmäßigkeit der britischen Regelung und ersuchte den Gerichtshof um Klärung und Vorabentscheidung.

EuGH: Kläger kann Aufenthalt nicht auf ursprüngliches Freizügigkeitsrecht der Ehefrau stützen

Der Gerichtshof hat dem Kläger Recht gegeben. Der Kläger könne sich aber nicht auf die Freizügigkeitsrichtlinie berufen. Diese gewähre Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die ihrerseits keine EU-Staatsangehörige sind, keine eigenständigen Rechte, sondern nur Rechte, die von denen abgeleitet seien, die der betreffende Unionsbürger aufgrund der Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit genieße. "Berechtigte" im Sinn der Richtlinie seien zwar Unionsbürger, die sich "in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit [sie besitzen]", begäben und sich dort aufhielten, sowie ihre Familienangehörigen, die sie begleiteten oder ihnen nachzögen.

Ehefrau ist nicht mehr als  Berechtigte anzusehen

Die Richtlinie regle aber nur die Voraussetzungen, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Insofern könne auf die Richtlinie auch kein abgeleitetes Recht von Nicht-EU-Staatsangehörigen, die Familienangehörige eines Unionsbürgers seien, auf Aufenthalt in dem Mitgliedstaat gestützt werden, dessen Staatsangehörigkeit dieser Unionsbürger besitze. Die Ehefrau des Klägers habe ursprünglich zwar ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt, als sie Spanien verlassen habe, um im Vereinigten Königreich zu leben. Mit dem Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft genieße sie dort ein völkerrechtlich bedingungsloses Aufenthaltsrecht, was zur Folge habe, dass die Freizügigkeitsrichtlinie nicht mehr auf sie anwendbar sei. Ihrem Ehegatten stehe deshalb auf der Grundlage der Richtlinie kein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich zu.

Kläger kann Aufenthalt aber von EU-Vertragsrechten seiner Ehefrau ableiten

Allerdings stehe dem Kläger dennoch ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt zu. Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV habe jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Ein Nicht-EU-Staatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers sei, habe ein davon abgeleitetes Recht, wenn dies erforderlich sei, damit der betreffende Unionsbürger die Freizügigkeit und seine Rechte gemäß Art. 21 Abs. 1 AEUV wirksam wahrnehmen könne. Darunter würde auch das Recht eines Unionsbürgers fallen, durch Zusammenleben mit seinen Angehörigen im Aufnahmemitgliedstaat ein normales Familienleben führen zu dürfen. Dies gelte auch, wenn der Unionsbürger die Staatsangehörigkeit dieses Staates zusätzlich zu seiner ursprünglichen Staatsangehörigkeit erworben habe.

Einbürgerungstatbestand darf Integrationsgedanken nicht zuwider laufen

Jede gegenteilige Auslegung liefe zum einen darauf hinaus, die Ehefrau genauso zu behandeln wie einen britischen Staatsbürger, der das Vereinigte Königreich niemals verlassen habe, womit unberücksichtigt bliebe, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt habe, indem sie sich in diesem Mitgliedstaat niedergelassen und dass sie ihre spanische Staatsangehörigkeit behalten habe. Außerdem liefe es dem durch Art. 21 Abs. 1 AEUV geförderten Gedanken der schrittweisen gesellschaftlichen Integration im Aufnahmemitgliedstaat zuwider, wenn ein Unionsbürger in einem solchen Fall das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat ein normales Familienleben zu führen, deshalb verlöre, weil er sich im Wege der Einbürgerung gerade stärker in diesen Mitgliedstaat integrieren wollte.

EuGH, Urteil vom 14.11.2017 - C-165/16

Redaktion beck-aktuell, 14. November 2017.