EuGH-Generalanwalt: Deutsche Pkw-Maut diskriminiert ausländische Autofahrer nicht

Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Nils Wahl sieht ausländische Autofahrer bei der deutschen Pkw-Maut durch die Entlastung von Haltern inländischer Fahrzeuge bei der Kraftfahrzeugsteuer nicht diskriminiert. Er schlägt in seinen Schlussanträgen vom 06.02.2019 deshalb vor, die Vertragsverletzungsklage Österreichs gegen die deutsche Autobahngebühr abzuweisen (Az.: C-591/17).

Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland

Deutschland hat 2015 das sogenannte Infrastrukturabgabengesetz zur Einführung der Pkw-Maut (Infrastrukturabgabe) erlassen. Es sieht die Erhebung der Abgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (insbesondere Autobahnen) mit Fahrzeugen mit einem Gewicht von weniger als 3,5 Tonnen vor. Für inländische, also in Deutschland zugelassene Fahrzeuge ist die Abgabe vom Fahrzeughalter im Voraus in Form einer Jahresvignette zu entrichten. Bei im Ausland zugelassenen Fahrzeugen gilt die Verpflichtung zur Zahlung der Infrastrukturabgabe entweder dem Halter oder dem Fahrer und entsteht mit der ersten Benutzung von Bundesfernstraßen nach einem Grenzübertritt. Für diese Fahrzeuge stehen drei Optionen zur Verfügung: eine Zehntagesvignette, eine Zweimonatsvignette und eine Jahresvignette.

Halter inländischer Fahrzeuge über verringerte Kfz-Steuer voll entlastet

Abhängig vom Hubraum, der Art des Motors und der Emissionsklasse liegt der Preis einer Zehntagesvignette zwischen mindestens 2,50 Euro und höchstens 25 Euro. Der Preis der Zweimonatsvignette liegt zwischen mindestens sieben Euro und höchstens 55 Euro. Die Jahresvignette schließlich hat einen Höchstpreis von 130 Euro. Mit Beginn der Erhebung der Infrastrukturabgabe wird den Haltern inländischer Fahrzeuge eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugutekommen, die dem Betrag der Infrastrukturabgabe entsprechen wird. Haltern von Euro-6-Fahrzeugen wird sogar eine noch höhere Steuerentlastung zugutekommen.

Österreich sieht ausländische Autofahrer diskriminiert

Österreich vertritt die Ansicht, dass Deutschland mit der Festlegung der Infrastrukturabgabe gegen mehrere Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen habe. Die Abgabe und die Steuerentlastung für Halter inländischer Fahrzeuge wirkten sich in der Kombination insbesondere dahin aus, dass in der Praxis nur die Fahrer von Fahrzeugen, die in anderen Mitgliedstaaten zugelassen seien (ausländische Fahrzeuge), der Infrastrukturabgabe unterlägen, was zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führe.

Kommission stellte Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein

Die Kommission hatte das Vertragsverletzungsverfahren, das sie gegen Deutschland führte, eingestellt, nachdem Deutschland die nationalen Rechtsvorschriften hinsichtlich des Preises für Kurzzeitvignetten und der Steuerentlastung geändert hatte. Deshalb erhob Österreich beim EuGH gegen Deutschland eine Vertragsverletzungsklage.

EuGH-Generalanwalt: Keine Diskriminierung ausländischer Autofahrer

Generalanwalt Wahl schlägt vor, die von Österreich gegen Deutschland erhobene Klage abzuweisen. Das Vorbringen Österreichs, das sich auf eine angebliche mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit stütze, beruhe auf einem grundlegenden Missverständnis des Begriffs "Diskriminierung". Zwar sei es zutreffend, dass Halter inländischer Fahrzeuge überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, während Fahrer ausländischer Fahrzeuge überwiegend Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats seien. Nach Auffassung Wahls ist es Österreich jedoch nicht gelungen, seinen Standpunkt in Bezug auf zwei Diskriminierungsgrundsätze überzeugend darzulegen.

Halter inländischer Fahrzeuge und Fahrer ausländischer Fahrzeuge nicht vergleichbar

Zunächst, so Wahl weiter, befänden sich die beiden Gruppen von Personen, die Österreich miteinander verglichen habe, in Bezug auf die Maßnahmen, die es beanstande, nicht in einer vergleichbaren Situation. Halter inländischer Fahrzeuge seien sowohl Nutzer deutscher Straßen (und unterlägen somit der Infrastrukturabgabe) als auch deutsche Steuerzahler (da sie der Kraftfahrzeugsteuer unterlägen). Hingegen handele es sich bei den Fahrern ausländischer Fahrzeuge um Steuerzahler anderer Mitgliedstaaten. Sie könnten als solche anderen Steuern oder Abgaben in ihrem jeweiligen Wohnsitzland unterliegen, aber sie würden niemals verpflichtet sein, deutsche Kraftfahrzeugsteuer zu zahlen. Daher seien die Halter inländischer Fahrzeuge und die Fahrer ausländischer Fahrzeuge zwar im Hinblick auf die Benutzung der deutschen Autobahnen vergleichbar, aber sie seien nicht vergleichbar, wenn man sie im Licht beider Maßnahmen prüfe, also wenn man sie sowohl als Benutzer deutscher Autobahnen als auch als Steuerzahler betrachte. Daher moniert Wahl das Vorbringen Österreichs als widersprüchlich. Einerseits bestehe dieser Mitgliedstaat darauf, dass die beiden Maßnahmen zusammen geprüft werden müssten, andererseits schaue er bei der Ermittlung der Vergleichsgröße lediglich auf die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen im Hinblick auf die Benutzung der deutschen Autobahnen durch diese Gruppen.

Keine ungünstigere Behandlung ausländischer Autofahrer

Außerdem habe Österreich keine weniger günstige Behandlung darlegen können, die die in Rede stehenden Maßnahmen für die Fahrer ausländischer Fahrzeuge bedeuten würden, fährt Wahl fort. Bei einer Prüfung im Licht beider Maßnahmen befänden sich die Fahrer ausländischer Fahrzeuge nicht in einer Situation, die weniger günstig sei als die, in der sich die Halter inländischer Fahrzeuge befänden, und könnten sich auch niemals in einer solchen Situation befinden. Um auf deutschen Autobahnen fahren zu dürfen, müssten die Erstgenannten nur die Infrastrukturabgabe zahlen und seien dabei nicht verpflichtet, den Betrag für ein ganzes Jahr zu zahlen. Sie könnten sich entsprechend ihrem tatsächlichen Bedarf für eine Vignette mit kürzerer Gültigkeitsdauer entscheiden. Hingegen müssten die Halter inländischer Fahrzeuge, um auf deutschen Autobahnen fahren zu dürfen, von Gesetzes wegen sowohl die Infrastrukturabgabe als auch Kraftfahrzeugsteuer zahlen. Darüber hinaus seien die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen unabhängig davon, ob sie tatsächlich heimische Autobahnen benutzten, verpflichtet, die Infrastrukturabgabe in Höhe des für eine Jahresvignette geschuldeten Betrags zu entrichten. Wahl räumt ein, dass die Höhe der Kraftfahrzeugsteuer, die von den Fahrzeughaltern inländischer Fahrzeuge zu entrichten sei, dank der Steuerentlastung geringer sein werde als in der Vergangenheit. Aber selbst wenn die Steuerentlastung eine "Nullreduzierung" der Kraftfahrzeugsteuer zur Folge hätte (was nicht der Fall sei), wäre jeder ausländische Fahrer verpflichtet, für die Benutzung deutscher Autobahnen einen Betrag zu zahlen, der höchstens so hoch wäre, wie der Betrag, der von den Haltern inländischer Fahrzeuge zu zahlen wäre.

Halter inländischer Fahrzeuge würden ohne Steuerentlastung unverhältnismäßig hoch belastet

Laut Wahl haben die deutschen Behörden völlig zu Recht die Ansicht vertreten, dass die bisher hauptsächlich von den Steuerzahlern getragenen Kosten des Autobahnnetzes gleichmäßig auf alle Nutzer, einschließlich der Fahrer ausländischer Fahrzeuge, aufgeteilt werden müssten. Ferner hätten sie zu Recht angenommen, dass die Halter inländischer Fahrzeuge einer unverhältnismäßig hohen Besteuerung unterworfen würden, wenn sie sowohl der Infrastrukturabgabe als auch der Kraftfahrzeugsteuer unterlägen. Hinsichtlich der deutschen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen (stichprobenartige Überwachung, Erhebung einer Sicherheitsleistung, Untersagung der Weiterfahrt) vertritt Wahl die Auffassung, dass Österreich seiner Beweislast dafür, dass diese Maßnahmen zu einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führen würden, nicht nachgekommen sei.

Freier Warenverkehr und freier Dienstleistungsverkehr nicht verletzt

Hinsichtlich der von Österreich behaupteten Verletzung des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs habe das Land im Hinblick auf eine mögliche Auswirkung der Infrastrukturabgabe auf den grenzüberschreitenden Handel keinerlei Nachweise erbracht. Es gebe keine Anhaltspunkte, die auf eine Behinderung des Markzugangs hindeuteten. Eine Auswirkung auf die Verkehrsfreiheiten scheine daher ungewiss oder allenfalls mittelbar zu sein.

Kein Verstoß gegen Stillhalteklausel

In Bezug auf die Stillhalteklausel in den Vertragsbestimmungen über die gemeinsame Verkehrspolitik, die es den Mitgliedstaaten untersage, Vorschriften in ihren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten ungünstiger zu gestalten, äußert Wahl Zweifel, ob diese Klausel noch anwendbar sei. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, habe Österreich nicht hinreichend erläutert, noch gar irgendwelche Beweise dafür vorgebracht, wie eine Maßnahme, die nur Fahrzeuge von weniger als 3,5 Tonnen betreffe, tatsächliche Auswirkungen auf ausländische Verkehrsunternehmen haben könnte. In diesem Zusammenhang weist Wahl darauf hin, dass die deutsche Infrastrukturabgabe mit zwei weithin anerkannten Dogmen der EU-Verkehrspolitik in Einklang stehe: Die Kosten im Zusammenhang mit der Benutzung von Verkehrsinfrastrukturen sollen auf dem "Benutzerprinzip" und dem "Verursacherprinzip" beruhen.

EuGH, Schlussanträge vom 06.02.2019 - C-591/17

Redaktion beck-aktuell, 6. Februar 2019.