EuGH-Generalanwältin verteidigt Verschärfung des EU-Waffenrechts

Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof Eleanor Sharpston steht hinter der unionsrechtlichen Verschärfung des Waffenrechts. Sie schlägt dem Gerichtshof vor, die Klage der Tschechischen Republik gegen die unionsrechtliche Regelung zur Einführung strengerer Vorschriften über den Erwerb und Besitz von Schusswaffen abzuweisen. Die Regelung gewährleiste den freien Verkehr von Schusswaffen und trage gleichzeitig den mit dem Handel dieser Waren verbundenen gesteigerten Bedenken in Bezug auf die öffentliche Sicherheit Rechnung, so die Generalanwältin in ihrem Schlussantrag vom 11.04.2019 (Az.: C-482/17).

EU erließ als Reaktion auf mehrere Terroranschläge strengere Vorschriften  

Nach einer Reihe tragischer Ereignisse im Jahr 2015, zu denen die Terroranschläge in Paris und Kopenhagen gehörten, erließ die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Schusswaffen-Richtlinie. Im Mai 2017 änderten das Europäische Parlament und der Rat die Schusswaffen-Richtlinie durch den Erlass einer Änderungsrichtlinie, um strengere Vorschriften für den Erwerb und Besitz von Schusswaffen einzuführen, einschließlich des Verbots bestimmter halbautomatischer Waffen für den zivilen Gebrauch.

Tschechien klagt gegen Änderungsrichtlinie

Die Tschechische Republik klagte gegen die Gültigkeit der Änderungsrichtlinie vor dem Gerichtshof. Sie macht geltend, dass die Änderungsrichtlinie nicht darauf abziele, den freien Verkehr von Schusswaffen in ihrer Eigenschaft als nach Art. 114 AEUV im Binnenmarkt gehandelte konkrete Waren zu gewährleisten, sondern vielmehr unter Verstoß gegen die Verträge den Bereich der Verhütung von Straftaten harmonisieren solle. Der Unionsgesetzgeber habe es beim Erlass der Änderungsrichtlinie völlig versäumt, auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der streitigen Maßnahmen einzugehen, die zudem offenkundig unverhältnismäßig seien. Darüber hinaus verstoße die Änderungsrichtlinie auch gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung.

Generalanwältin schlägt Klageabweisung vor

Die Generalanwältin hat vorgeschlagen, der Gerichtshof solle die Klage der Tschechischen Republik insgesamt abweisen. Zunächst hat sie darauf hingewiesen, dass Art. 114 AEUV zwar eine Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Hemmnisse für den freien Warenverkehr oder zur Verhinderung des Auftretens neuer Hemmnisse darstelle. Doch könne der Rückgriff auf diesen Artikel als Rechtsgrundlage nicht allein deshalb für ungültig erklärt werden, weil andere Angelegenheiten wie beispielsweise die öffentliche Sicherheit ebenfalls durch die erlassenen Maßnahmen berührt würden. In dieser Hinsicht ist die Generalanwältin der Ansicht, dass die Änderungsrichtlinie ebenso wie die Schusswaffen-Richtlinie auch ein gewisses Maß an Verkehrsfreiheit für einige Schusswaffen und ihre wesentlichen Bauteile innerhalb der EU gewährleisten solle, und hierzu Sicherheitsvorkehrungen speziell für diese Waren vorsehe.

Richtlinie hauptsächlich zu Gewährleistung freien Verkehrs von Schusswaffen erlassen

Der Generalanwältin zufolge sei es wahrscheinlich gewesen, dass die Mitgliedstaaten nach den Terroranschlägen in Europa im Jahr 2015 voneinander abweichende nationale Schutzmaßnahmen erlassen würden, die den freien Verkehr von Schusswaffen innerhalb der EU hätten beeinträchtigen können. Deshalb habe der Unionsgesetzgeber handeln müssen, um auf EU-Ebene den mit der Schusswaffen-Richtlinie der EU erzielten Ausgleich zwischen dem freien Warenverkehr und der öffentlichen Sicherheit anzupassen. Die Generalanwältin vertritt daher die Ansicht, dass die Änderungsrichtlinie tatsächlich und hauptsächlich den freien Verkehr von Schusswaffen gewährleisten solle, und dass sie, obwohl sie den Bereich der Verhütung von Straftaten zweifellos berühre, diesen Bereich inhaltlich nicht harmonisiere. Folglich habe der Unionsgesetzgeber die Änderungsrichtlinie auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erlassen dürfen.

Änderungsrichtlinie verstößt nicht gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Änderungsrichtlinie verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und sei auch nicht für nichtig zu erklären, weil der Unionsgesetzgeber vor Erlass der Änderungsrichtlinie keine Folgenanalyse gemäß der Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung durchgeführt habe. Zwar binde diese Vereinbarung die Organe. Doch sei eine Folgenabschätzung kein zwingender Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens unter allen Umständen. In diesem Kontext hat die Generalanwältin darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit der raschen Bewältigung der sich aus den Terroranschlägen des Jahres 2015 ergebenden Herausforderungen eine Notlage dargestellt und dass der Unionsgesetzgeber andere Berichte und Studien als Grundlage für seine Analyse der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen herangezogen habe.

Unionsrecht kennt kein Grundrecht auf Besitz von Schusswaffen

Im Übrigen habe die Kommission bei der Vorbereitung ihres Vorschlags für den Erlass der Änderungsrichtlinie im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl die Ziele des Binnenmarktes als auch die mit diesen Zielen zusammenhängenden Sicherheitsanforderungen gebührend berücksichtigt. Die bloße Tatsache, dass die Anwendung der Änderungsrichtlinie unter bestimmten Umständen zur Beschlagnahme bestimmter, im Besitz Einzelner befindlicher Schusswaffen führen könne, greife nicht in das Recht auf Eigentum ein, da dieses Recht im öffentlichen Interesse und unter gesetzlich vorgesehenen Umständen beschränkt werden dürfe: Im Unionsrecht gebe es kein Grundrecht auf den Besitz von Schusswaffen.

Verbot halbautomatischer Waffen zulässig 

Die Generalanwältin ist auch der Ansicht, dass die spezielle Vorschrift der Änderungsrichtlinie, die es der Schweiz gestatte, es Armeereservisten in ihrer Eigenschaft als Sportschützen zu erlauben, die Schusswaffe zu behalten, die sie während ihres obligatorischen Militärdienstes benutzten, auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfülle. Desgleichen ist die Generalanwältin der Ansicht, dass die in der Änderungsrichtlinie vorgenommene Neueinstufung bestimmter halbautomatischer Waffen von genehmigungspflichtigen Schusswaffen zu verbotenen Schusswaffen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße. Die Mitgliedstaaten hätten weiterhin das Recht, die Genehmigung für solche Waffen, die vor dem 13.06.2017 rechtmäßig erworben und eingetragen worden seien, zu bestätigen, zu erneuern oder zu verlängern, sofern eine angemessene Aufsicht bestehe. Insgesamt würden bei der Änderungsrichtlinie die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung eingehalten.

EuGH, Schlussanträge vom 11.04.2019 - C-482/17

Redaktion beck-aktuell, 11. April 2019.