Schiedssprüche des Internationalen Sportgerichtshofs CAS, des Schiedsorgans zur Beilegung von Streitigkeiten im Bereich des Sports weltweit, dürfen nach einem Urteil des EuGH künftig von staatlichen Gerichten in der EU überprüft werden. Es müsse möglich sein, zu kontrollieren, ob dessen Entscheidungen mit der öffentlichen Ordnung der Europäischen Union vereinbar seien, legte das höchste europäische Gericht fest (Urteil vom 01.08.2025 – C-600/23).
Im konkreten Fall streitet sich der belgische Fußballverein RFC Seraing seit mehr als zehn Jahren mit dem Weltverband FIFA über das Verbot der sogenannten Dritteigentümerschaft. Dieses regelt, dass wirtschaftliche Rechte von Spielern nicht an Investoren verkauft werden dürfen. Die FIFA hatte Sanktionen gegen den Klub verhängt, darunter das Verbot der Registrierung neuer Spieler und eine Geldstrafe. Der CAS bestätigte die Sanktionen, ebenso wie das Schweizer Bundesgericht. Der RFC Seraing hielt die FIFA-Regeln jedoch für unvereinbar mit dem Unionsrecht und rief zuletzt die belgischen Gerichte an. Diese erklärten sich für unzuständig: Der CAS-Spruch sei rechtskräftig, eine erneute inhaltliche Überprüfung daher ausgeschlossen.
Die belgische Cour de cassation, das oberste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit Belgiens und damit die letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren, legte dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vor, ob nationale Gerichte unter Berufung auf die Rechtskraft eines CAS-Schiedsspruchs von einer unionsrechtlichen Prüfung absehen dürfen – insbesondere, wenn der Spruch zuvor in der Schweiz bestätigt worden ist.
Rechtskraft darf unionsrechtliche Kontrolle nicht ausschließen
Der EuGH hat klargestellt, dass nationale Vorschriften, die einem Schiedsspruch des CAS umfassende Rechtskraft beimessen und damit eine gerichtliche Überprüfung ausschließen, gegen das Unionsrecht verstoßen. Eine solche Sperrwirkung nehme Einzelpersonen die Möglichkeit, die Kontrolle eines Sportschiedsspruchs vor den Gerichten der Mitgliedstaaten zu erreichen, so das Gericht. Zwar könnten sich Verbände grundsätzlich für Schiedsverfahren entscheiden. Wenn diese aber innerhalb der EU stattfinden, müssten diese auch mit der gerichtlichen Struktur der Union vereinbar sein und den Anforderungen an die öffentliche Ordnung genügen.
Im vorliegenden Fall sei der CAS-Spruch auf Basis eines Schiedsmechanismus erfolgt, den die FIFA einseitig vorgegeben habe – eine Konstellation, wie sie im organisierten Sport häufig vorkomme, so die Richterinnen und Richter. Deshalb müssten Entscheidungen des CAS gerichtlich überprüfbar bleiben, wenn sie Personen betreffen, die in der Union eine wirtschaftliche Tätigkeit im Zusammenhang mit Sport ausüben.
Sportlerinnen und Sportler brauchen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz
Diese Überprüfung könne zwar in ihrem Umfang beschränkt sein, müsse jedoch in jedem Fall eine eingehende rechtliche Kontrolle der Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des Unionsrechts ermöglichen, so der EuGH weiter. Dies betreffe insbesondere die Bestimmungen zur öffentlichen Ordnung der Union. Verweise in den FIFA-Statuten auf den CAS als ausschließliche und obligatorische Instanz könnten daran nichts ändern, wenn unionsrechtlich garantierte Rechte betroffen seien. In solchen Fällen sichere Art. 47 der Charta den Betroffenen einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu, der nur durch ein Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV gewährleistet werden könne.
Außerdem müsse es Betroffenen möglich sein, bei nationalen Gerichten einstweilige Anordnungen zu beantragen oder ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, erklärte der Gerichtshof. Gehe es um Verstöße gegen Wettbewerbsrecht oder die Verkehrsfreiheiten, müssten sie darüber hinaus verlangen können, dass der Verstoß festgestellt, Schadensersatz zugesprochen und das rechtswidrige Verhalten beendet werden.
Schließlich betonte der EuGH, dass nationale Gerichte verpflichtet seien, jede Regelung – sei sie staatlicher oder verbandlicher Herkunft –, die eine solche gerichtliche Kontrolle verhindert, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen.
CAS bleibt gelassen
"Das ist ein bedeutender Tag für die Sportschiedsgerichtsbarkeit", sagte der Sportrechts-Experte Jan F. Orth von der Universität Köln der Deutschen Presse-Agentur. "Der EuGH hat heute die Rechte der strukturell Schwächeren, also vor allem der Athleten und Vereine, gestärkt. Diese können nun immer mehr erreichen, dass ein nationales Gericht die Vereinbarkeit von CAS-Schiedssprüchen mit dem europäischen Ordre public überprüft."
"Aber es bedeutet nicht das Ende des CAS", so Orth weiter. "Die internationale Sportschiedsgerichtsbarkeit bleibt wichtig und sinnvoll, damit wir weltweit einheitliche Standards haben, was die Bewertung sportgerichtlicher Sachverhalte angeht."
Der CAS gab sich in einer ersten Reaktion betont gelassen und wies darauf hin, dass die Sportrichter bereits jetzt EU-Recht anwenden würden, "wenn dies erforderlich ist". Cas-Generaldirektor Matthieu Reeb beteuerte: "Im Dienste der internationalen Sportgemeinschaft wird der Cas weiterhin zeitnah und fachkundig Streitigkeiten weltweit schlichten."