EU-Richtlinie nicht umgesetzt: Trotzdem kein Studentenvisum bei Missbrauch

Ein missbräuchlich beantragtes Studentenvisum kann abgelehnt werden, auch wenn die dazu in der einschlägigen EU-Richtlinie geregelte Befugnis nicht umgesetzt worden ist. Denn das Missbrauchsverbot als allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts müsse nicht erst umgesetzt werden, so der EuGH.

Eine Kamerunerin hatte ein Visum beantragt, um in Belgien zu studieren. Die belgischen Behörden sahen darin allerdings nur einen Vorwand und versagten ihr ein Visum. Im Rahmen ihres anschließenden Klageverfahrens schaltete der belgische Staatsrat den EuGH ein. Dabei ging es um die Frage, ob ein EU-Staat einen Visumsantrag als missbräuchlich auch dann ablehnen kann, wenn er die entsprechende, in der Richtlinie 2016/801 vorgesehene Befugnis nicht umgesetzt hat.

Die Richtlinie sieht vor, dass ein Antrag abzulehnen ist, "wenn der Mitgliedstaat Beweise oder ernsthafte und sachliche Anhaltspunkte dafür hat, dass der Drittstaatsangehörige seinen Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen würde als jene, für die er die Zulassung beantragt".

Das belgische Recht sah dies aber nicht ausdrücklich vor. Es regelte nur, dass die Aufenthaltserlaubnis einem Ausländer erteilt wird, "der in Belgien studieren möchte".

Umsetzung für Anwendung des Missbrauchsverbots nicht erforderlich

Laut EuGH reicht das (Urteil vom 29.07.2024 - C-14/23). Nach der Richtlinie könne ein EU-Staat ein Studentenvisum ablehnen, wenn der Antrag ohne die tatsächliche Absicht, dort zu studieren, gestellt worden sei. Das gelte auch dann, wenn das Land die dazu in der Richtlinie geregelte Befugnis nicht umgesetzt hat. Denn das Missbrauchsverbot sei ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nicht erst umgesetzt werden müsse, um angewendet werden zu können.

Ob ein Antrag missbräuchlich sei, ist dem EuGH zufolge anhand einer Einzelfallprüfung zu beurteilen. Dabei seien alle spezifischen Umstände des jeweiligen Antrags individuell zu würdigen. Die Behörden müssten alle geeigneten Überprüfungen anstellen und die erforderlichen Nachweise fordern. Auch Unstimmigkeiten des Studienvorhabens könnten zu den missbrauchsrelevanten Umständen gehören. Sie müssten aber offensichtlich sein und im Licht der Einzelfallumstände beurteilt werden.

Schließlich hält der EuGH noch fest, dass ein Gericht bei der Entscheidung über eine Klage, mit der die Vereinbarkeit einer Verwaltungsentscheidung mit dem Unionsrecht in Frage gestellt wird, keine Abänderungsbefugnis haben müsse. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf stehe nicht entgegen, wenn das Gericht die Entscheidung nur für nichtig erklären darf. Es genüge, wenn die Behörden an das Urteil des Gerichts gebunden sind und zeitnah eine neue Entscheidung ergehen kann.

EuGH, Urteil vom 29.07.2024 - C-14/23

Redaktion beck-aktuell, hs, 29. Juli 2024.