EuG: EZB muss privaten Investoren für Verluste durch Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld keinen Schadenersatz zahlen

Die privaten Investoren, die der 2012 erfolgten Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld nicht zugestimmt haben und denen aufgrund der Umstrukturierung Verluste entstanden sind, können die Europäische Zentralbank (EZB) nicht auf Schadenersatz in Anspruch nehmen. Trotz der fehlenden Zustimmung der Investoren stelle die Umstrukturierung keinen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff in ihr Eigentumsrecht dar, so das Gericht der Europäischen Union mit Urteil vom 23.05.2019 (Az.: T-107/17).

Private Gläubiger sollten zu Senkung der Schuldenlast beitragen

Infolge des Ausbruchs der griechischen Staatsschuldenkrise im Oktober 2009 plante Griechenland eine Umstrukturierung seiner Staatsschuld, um zu einer tragfähigen finanziellen Situation zurückzukehren. Im Rahmen der Umstrukturierung sollten die privaten Gläubiger Griechenlands einen Beitrag zur Senkung der Schuldenlast leisten. Hierzu nahm Griechenland mit privaten Investoren, die Inhaber von vom griechischen Staat begebenen oder garantierten Schuldtiteln waren, Verhandlungen auf, um diese Schuldtitel gegen neue Schuldtitel zu tauschen. Am 02.02.2012 forderte Griechenland die EZB auf, zu einem Gesetzentwurf über die Modalitäten der Verringerung der griechischen Staatsschuld eine Stellungnahme abzugeben. Es beabsichtige, die Wirkungen einer eventuellen Vereinbarung über einen Umtausch von Schuldtiteln, die mit einer bestimmten Anzahl von Gläubigern geschlossen wird, auf Gläubiger auszuweiten, die dieser Vereinbarung nicht zustimmen.

Mehrheit der Gläubiger stimmte Schuldtitel-Tausch zu

In ihrer Stellungnahme vom 17.02.2012 erhob die EZB gegen das beabsichtigte griechische Gesetz keine Einwände. Im Anschluss an den Erlass des fraglichen Gesetzes stimmten die Gläubiger, die die große Mehrheit (85,8%) der betreffenden Schuldtitel hielten, dem von Griechenland vorgeschlagenen Tausch von Schuldtiteln zu. Dies führte nach dem Gesetz dazu, dass die Gläubiger, die dem Tausch nicht zugestimmt hatten, gezwungen waren, sich an ihm zu beteiligen.

Kläger: EZB hätte auf Rechtswidrigkeit der Umstrukturierung hinweisen müssen

Einige dieser Gläubiger haben anschließend beim Gericht der Europäischen Union gegen die EZB eine Klage auf Ersatz der finanziellen Verluste erhoben, die ihnen aufgrund dessen entstanden seien, dass die EZB Griechenland nicht auf die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Umstrukturierung der griechischen Staatschuld aufmerksam gemacht habe.

EuG: Außervertragliche Haftung der EZB nur bei erheblicher Ermessenüberschreitung

Die außervertragliche Haftung der EZB setze die Erfüllung von drei kumulativen Kriterien voraus, so das EuG in seiner Entscheidung, nämlich dass die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, dass der Eintritt eines Schadens nachgewiesen ist und schließlich, dass zwischen dem Verstoß gegen die dem Urheber des Rechtsakts obliegende Verpflichtung und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. In diesem Kontext bedeutet nach den Ausführungen des Gerichts der weite Ermessensspielraum der EZB bei der Abgabe ihrer Stellungnahmen, dass nur eine offenkundige und erhebliche Überschreitung dieses Ermessens ihre außervertragliche Haftung begründen kann.

EZB war nicht zu Stellungnahme über Verpflichtungen Griechenlands verpflichtet

Mit der Befugnis der EZB zur Abgabe einer Stellungnahme werde nicht bezweckt, die Rechte und Pflichten der Parteien der den fraglichen Schuldtiteln zugrunde liegenden Verträge zu beurteilen, sondern dass sie sich in den Katalog ihrer grundsätzlichen Aufgaben im Bereich der Geldpolitik einordnet und mit ihrer Pflicht verbunden ist, die Preisstabilität zu gewährleisten. Die EZB sei folglich im Kontext der Abgabe der streitigen Stellungnahme nicht verpflichtet gewesen, sich zu der Frage zu äußern, ob Griechenland seine Verpflichtungen aus den fraglichen Verträgen eingehalten hatte.

Staatliche Schuldtitel stets mit Vermögensschadens-Risiko behaftet

Des Weiteren habe die Umstrukturierung der griechischen Staatsschuld nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen geführt. Denn der Investition in staatliche Schuldtitel wohne stets das Risiko eines Vermögensschadens inne, weil nach der Begebung der Titel viel Zeit verstreicht, in der unvorhergesehene Ereignisse die finanzielle Leistungsfähigkeit des die Titel ausgebenden oder garantierenden Staates wesentlich mindern oder sogar zunichtemachen können. Der emittierende Staat sei beim Eintritt solcher Unwägbarkeiten berechtigt, eine Neuverhandlung anzustreben, indem er eine grundlegende Änderung der wesentlichen Umstände geltend macht, auf deren Grundlage der Vertrag geschlossen wurde, der diese Verpflichtungen umfasst.

EZB kann zu Hinweis auf Verstoß gegen Eigentumsrecht verpflichtet sein

Weiter hat das Gericht festgestellt, dass die EZB im Hinblick auf den Grundrechtscharakter des in Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisteten Eigentumsrechts und im Hinblick darauf, dass dieses Recht den Einzelnen schützt, verpflichtet ist, bei der Ausübung ihrer Befugnisse auf einen Verstoß gegen dieses Recht hinzuweisen. Infolgedessen könne ein Verstoß gegen diese Pflicht die außervertragliche Haftung der EZB begründen, wenn die Unterlassung einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen diesen Artikel darstellt. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Ausübung dieses Rechts beschränkt werden darf, um dem Gemeinwohl dienende Ziele zu erreichen.

Eingriff in Eigentumsrecht hier nicht untragbar

Insoweit stellt das Gericht fest, dass die in den Verträgen, die den fraglichen Schuldtiteln zugrunde lagen, nicht vorgesehene Ausweitung der Wirkung der mit bestimmten Gläubigern geschlossenen Vereinbarung über die Herabsetzung des Nominalwerts dieser Titel auf Gläubiger, die der Vereinbarung nicht zugestimmt hatten, zu einem Eingriff in das Eigentumsrecht der Gläubiger geführt hat. Jedoch entspreche eine solche Ausweitung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung, die Stabilität des Bankensystems des Euro-Währungsgebiets in seiner Gesamtheit sicherzustellen, und stelle keinen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff in das Eigentumsrecht dar.

Mangels hinreichend qualifizierter Verletzung des Unionsrechts kein Schadenersatzanspruch

Unter diesen Umständen hat das Gericht aufgrund des Fehlens jeglicher Nachweise, dass die EZB eine hinreichend qualifizierte Verletzung des Unionsrechts begangen hat, die Schadenersatzklage abgewiesen.

EuG, Urteil vom 23.05.2019 - T-107/17

Redaktion beck-aktuell, 23. Mai 2019.