Ehemaliger BVerfG-Vizepräsident Kirchhof rügt EuGH

Der Ex-Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, übt im Interview mit der "Neuen Juristischen Wochenschrift" harsche Kritik am Europäischen Gerichtshof. Er wirft den Luxemburger Richtern "einseitige Entscheidungen ohne Rücksicht auf gewachsene nationale Rechtsinstitute" vor. Er unterbreitet zugleich mehrere Gegenvorschläge. 

 "Autoritative Antworten" mindern Akzeptanz der Bürger

Auch wenn nationale Gerichte dem EuGH – wie vorgeschrieben – Rechtsfragen vorlegten, habe das bisher nur "autoritative Antworten" gebracht, "die Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und die Vorschriften zur Rücksichtnahme in den europäischen Verträgen außer Acht ließen", kritisiert Kirchhof. Dabei sollten diese Regeln doch "das Gegengewicht zu Anwendungsvorrang und europäischer Verpflichtung der Mitgliedstaaten sichern". Die Luxemburger Richter griffen in Bereiche ein, die die Mitgliedstaaten bewusst für sich selbst von europäischen Regeln freigehalten hätten. "Das schadet nicht nur dem Gesamtsystem aus europäischen und nationalen Regeln, sondern mindert auch die Akzeptanz für den Bürger." 

Kündigung katholischen Chefarztes wegen neuer Ehe als Beispiel genannt

Als Beispiel nennt Kirchhof den Fall des katholischen Chefarztes, dessen Kündigung wegen einer neuen Ehe das Bundesverfassungsgericht gebilligt und der EuGH danach letztlich verworfen habe. Die Luxemburger Richter hörten zu wenig auf die Argumente der Karlsruher Kollegen und ergriffen nicht die "ausgestreckte Hand": "So redet man aneinander vorbei."

Vorschlag: EuGH-Anrufung und Nichtanwendung von Gesetzen durch untere Gerichte nur mit Zustimmung des BVerfG

Kirchhof macht mehrere Reformvorschläge. So könne ein "Verbund der nationalen Verfassungsgerichte" geschaffen werden, um "im Konsens auf der horizontalen Ebene Europas" gemeinsame Werte zu bestimmen – "statt autoritativ in der Vertikalen". Auch würde es ausreichen, wenn nur noch jeweils die obersten Gerichte den EuGH anrufen könnten. Bisher könne dies beispielsweise ein einzelner Amtsrichter. Doch das begünstige die Umgehung der nachfolgenden Instanzen und tendiere zur Zersplitterung der Rechtsprechung. Kirchhof schlägt daher vor, dass in solchen Fällen die nationalen Verfassungsgerichte einbezogen werden sollten. So könne auch verhindert werden, dass untere Gerichte von sich aus nationale Gesetze wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Europarecht nicht anwenden.

Redaktion beck-aktuell, 10. April 2019.