Posthumer Freispruch von Kriegsverbrechern: Entschädigung für Holocaustüberlebende

Zwei Holocaustüberlebende aus Rumänien erfuhren 2016, dass zwei rumänische Offiziere, die an einem Pogrom in ihrer Region beteiligt waren, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks still und heimlich freigesprochen worden waren. Für diese Retraumatisierung muss Rumänien sie nun entschädigen.

Die zwei rumänischen Juden waren als 11- bzw. 14-Jährige zunächst im Rahmen eines Pogroms in einem Getto untergebracht worden, um von dort aus in Todescamps nach Transnistrien deportiert zu werden. Der EGMR sprach ihnen nun eine Entschädigung zu. Grund war die Retraumatisierung durch die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren 1998/1999 gegen zwei Offiziere, die sich an dem sogenannten Massaker von Iasi und an den Deportationen beteiligt hatten.

1953/1954 waren die Soldaten noch wegen Kriegsverbrechen zu zehn und 15 Jahren Zuchthaus und Vermögensverfall verurteilt worden, 1955 wurden sie aber begnadigt und aus der Haft entlassen. Einer der beiden Offiziere starb kurz darauf. Der andere wurde anschließend wegen derselben Verbrechen zu fünf Jahren Haft wegen "Verbrechen gegen die Arbeiterklasse" verurteilt. Nach dem Fall des kommunistischen Systems – inzwischen war auch der andere Offizier gestorben – kamen die Fälle erneut vor Gericht: Dieses Mal wurden beide Männer freigesprochen, weil ausschließlich deutsche Truppen das Massaker von Iasi veranstaltet und die Juden in Gettos untergebracht hätten. Die Rumänen hätten nur ihre militärischen Pflichten erfüllt. Überlebende wurden an dem Prozess nicht beteiligt; vielmehr wurde die Öffentlichkeit gar nicht informiert. Der Oberste Gerichtshof in Bukarest hob die Urteile aus den 1950er Jahren auf. Die Öffentlichkeit erfuhr hiervon erst 17 Jahre später eher zufällig.

Der EGMR (Entscheidung vom 23.04.2024 – 42917/16) sprach den Antragstellern nun 8.500 Euro Schadensersatz zu. Der rumänische Staat hat den Straßburger Richterinnen und Richtern zufolge die Überlebenden durch das Wiederaufnahmeverfahren und die Freisprüche in ihren Rechten aus Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) in Verbindung mit Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) verletzt. Die Revision historisch und gerichtlich festgestellter Tatsachen käme einer Leugnung der antisemitischen Verfolgung gleich. 

EGMR, Urteil vom 23.04.2024 - 42917/16

Redaktion beck-aktuell, rw, 24. April 2024.