EGMR: Österreich hat Klage eines Holocaust-Überlebenden nicht ausreichend geprüft

Österreichische Gerichte haben dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zufolge den Holocaust-Überlebenden Aba Lewit nicht ausreichend vor diffamierenden Aussagen eines rechtsextremen Magazins geschützt. Österreich müsse Lewit mehr als 12.000 Euro an Schadenersatz zahlen und die Prozesskosten erstatten, teilte der Gerichtshof in Straßburg am 10.10.2019 mit. Demnach hatten die Gerichte in Österreich die Klage des heute 96-Jährigen aus Wien wegen Verleumdung nicht ordnungsgemäß geprüft und damit sein Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt (Az.: 4782/18).

Häftlinge des Konzentrationslagers wurden als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet

Ein Autor hatte 2015 in einem Artikel im rechtsextremen Magazin "Aula" die nach 1945 befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet, wie aus dem EGMR vorliegenden Unterlagen hervorging. Die Ermittlungen dazu wurden eingestellt. In einem weiteren Artikel wiederum über die eingestellten Ermittlungen wiederholte der Autor 2016 seine Aussagen, woraufhin Lewit und neun weitere Überlebende medienrechtlich klagten.

Landesgericht verneinte persönliche Betroffenheit

Das Landesgericht für Strafsachen Graz wies den Antrag mit der Begründung ab, dass das Kollektiv der Mauthausen-Befreiten, das 1945 bis zu 20.000 Personen umfasste, zu groß war, als dass jedes einzelne Mitglied durch die Aussagen persönlich erkennbar und betroffen wäre. Der Artikel aus dem Jahr 2016 habe zudem im Vergleich zu dem von 2015 keine neuen Aussagen gemacht.

EGMR: Keine Auseinandersetzung mit eigentlichem Gegenstand der Verleumdung

Das Gericht in Graz habe bei seiner Entscheidung jedoch nicht den Fakt bedacht, dass es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels nur noch wenige Holocaust-Überlebende gab, erklärte der EGMR zu seinem Urteil. Zudem habe sich das Gericht in Österreich nie mit dem eigentlichen Gegenstand der Verleumdung auseinandergesetzt, so der Gerichtshof.

Justizminister begrüßte Urteil

Österreichs Justizminister Clemens Jabloner begrüßte das Urteil. Die Entscheidung sei ein "wichtiges Signal für die Justiz, sich der Verantwortung für die Gräueltaten des NS-Regimes bewusst zu werden", sagte Jabloner einem Bericht der Nachrichtenagentur APA zufolge. Die österreichische Justiz habe seit 2015 Schritte unternommen, um den Fällen besser zu begegnen. So sei im Justizministerium eine besondere Abteilung für Extremismusdelikte eingerichtet worden, erklärte Jabloner. Richter müssten in der Ausbildung außerdem verpflichtend ein Modul zu Justiz und Zeitgeschichte belegen.

EGMR, Urteil vom 10.10.2019 - 4782/18

Redaktion beck-aktuell, 10. Oktober 2019 (dpa).