DAV lehnt geplantes Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens ab

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt die geplante Modernisierung des Strafverfahrens in einer Stellungnahme vom 02.10.2019 ab. Für eine weitere Reform bedürfe es zunächst empirischer Erkenntnisse zu den erst kürzlich erfolgten StPO-Änderungen. Zudem sei der Entwurf einseitig auf eine Beschneidung von Verteidigungsrechten ausgerichtet und zeuge damit von einem reaktionären Prozessverständnis.

DAV: Entwurf stellt Ausübung von Antragsrechten unter Generalverdacht der Prozesssabotage 

Der Titel des Gesetzes täusche. Es gehe nicht um eine "Modernisierung" des Strafverfahrens, sondern vorwiegend darum, den Verfahrensgang zu beschleunigen, indem Beschuldigten- und Verteidigerrechte weiter verkürzt und beschnitten würden, so der DAV. Das sei das Gegenteil von Modernisierung. Die Ausübung von verfassungsmäßig verbürgten Antragsrechten werde an zahlreichen Stellen im Entwurf unter den Generalverdacht der Prozesssabotage gestellt. Wodurch Verfahren verzögert würden und warum die vorgesehenen Maßnahmen zu einer Beschleunigung des Verfahrens im Sinne der Wahrheitsfindung beitragen sollten, erfahre man nicht. 

Kritik an geplante Eingriffe ins Befangenheits- Beweisantragsrecht

Die geplanten Eingriffe in das Befangenheitsrecht und das Beweisantragsrecht haben laut DAV keinen Mehrwert für die Praxis und würden eher zusätzlichen Konfliktstoff für die Hauptverhandlung schaffen. Der als "dysfunktional" bezeichnete Gebrauch des Beweisantragsrechts hänge auch damit zusammen, dass es eines der wenigen Mittel sein könne, um im Rahmen der zwingenden Beschlussbescheidung etwas über die vorläufige Einschätzung des Gerichts über den Stand der Beweisaufnahme – was sei bereits erwiesen, was bedeutungslos? – zu erfahren. Er sei somit Folge des Transparenzdefizits im Verfahren. Hier verlangt der DAV Änderungen.

Ausweitung der Unterbrechungsdauer unverhältnismäßig

Die Einführung eines isolierten Beschwerdeverfahrens im (praktisch bedeutungslosen) Recht der Besetzungsrüge hält der DAV im Grundsatz für akzeptabel, es bedürfe aber einiger Änderungen im Verfahrensablauf. Eine Ausweitung der Unterbrechungsdauer durch neue Hemmungsfristen und neue Hemmungstatbestände greife unverhältnismäßig in die Konzentrationsmaxime ein und sei abzulehnen. Eine Erweiterung der DNA-Analysemethoden komme nur für die Altersbestimmung in Betracht, nicht aber für sonstige Merkmale wie Haut-, Haar und Augenfarbe. 

Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung auf Wohnungseinbruchsdiebstahl unverhältnismäßig

Für eine Ausweitung von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren und deren Transfer in die Hauptverhandlung sieht der DAV keinen Anlass. Unverhältnismäßig sei die Aufnahme des Wohnungseinbruchsdiebstahls in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO. Das Verbot der Gesichtsverhüllung sei überflüssig. Der vorgesehenen Bündelung der Nebenklage stimmt der DAV nur zu, wenn sie auf Ausnahmefälle beschränkt werde und wenn möglichen Interessenkonflikten hinreichend Rechnung getragen werde.

DAV fordert mehr Transparenz im Strafverfahren

Der DAV fordert den Gesetzgeber zu einer wirklichen Modernisierung des Strafverfahrens auf. Das Strafverfahren müsse von seinen autoritären Strukturen befreit und mehr Kommunikation und Transparenz zwischen den Verfahrensbeteiligten ermöglicht werden. So sei kein Grund ersichtlich, warum im 21. Jahrhundert die Dokumentation der Hauptverhandlung noch auf dem Niveau des Inkrafttretens der StPO vor 140 Jahren sei. Eine Protokollierung des Inhalts von Zeugen- und Sachverständigenaussagen finde in den erstinstanzlichen Verhandlungen vor Land- und Oberlandesgerichten nur in ganz seltenen Ausnahmefällen statt. Während polizeiliche Ermittlungsmethoden den Anspruch erhöben, dem Stand von Wissenschaft und Technik zu entsprechen, verzichte das deutsche Strafjustizsystem als fast einziges im Rechtsstaatsverbund der Europäischen Union auf eine objektive Dokumentation der Beweisaufnahme und vertraue stattdessen allein auf die fehleranfälligen Mitschriften der Berufsrichter als Beratungsgrundlage. So werde der Inhalt der Beweisaufnahme jeder Kontrolle entzogen. Das sei ein Rechtsstaatsdefizit, das die Arbeit aller Verfahrensbeteiligten nachhaltig erschwere, in der Öffentlichkeit kaum vermittelbar sei und dem Ansehen der Strafjustiz schade.

Redaktion beck-aktuell, 4. Oktober 2019.