DAV fordert rechtsstaatliches Handeln auch in Zeiten von Corona

In seiner Stellungnahme zu dem als Kabinettsvorlage vom 22.03.2020 vorliegenden Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Gesetze hebt der Deutsche Anwaltverein (DAV) hervor, die notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie dürften die Balance zwischen parlamentarischer Willensbildung und exekutivem Handeln nicht aus den Angeln heben. Im Kampf gegen die Viruserkrankung gehe es nicht nur um Leben und Tod, sondern auch um die Bewahrung und Bewährung des demokratischen Rechtsstaats.

Eingriffe in Grundrechte auf Grundlage von Rechtsverordnungen geplant

Der Gesetzentwurf sehe vor, dass die Bundesregierung, wenn sie eine epidemiologische Lage von nationaler Tragweite feststellt, ermächtigt sei, durch Rechtsverordnung die Grundlage für Regelungen von beträchtlicher Reichweite zu schaffen, die tief in die Grundrechte der Bürger eingreifen. Als Beispiele nennt der DAV Enteignungen, Dienstverpflichtungen, Passagierdaten-Erhebungen und Zwangsbehandlungen. Die Regierung solle außerdem nicht näher beschriebene Ausnahmen von gesetzlichen Regelungen etwa im Arzneimittelgesetz durch Rechtsverordnung zulassen können.

DAV fordert Bestätigung von Rechtsverordnungen durch Bundestag

Der Presse sei inzwischen zu entnehmen, dass der Kabinettsentwurf dahingehend abgeschwächt werden solle, dass nur der Bundestag eine sogenannte epidemiologische Lage feststellen darf. Diesen Schritt begrüße der DAV. Im demokratischen Rechtsstaat müssten Regelungen, die tief in die Grundrechte der Bürger eingreifen, vom Parlament getroffen werden. Sie könnten nicht durch weitreichende Verordnungsermächtigungen der Exekutive überantwortet werden. Der Gesetzentwurf stelle – auch mit der oben dargestellten Modifikation – dieses demokratische Willensbildungsprivileg des Parlaments nicht ausreichend sicher, meint der DAV. Um die politische Debatte und Entscheidungsfindung in den gewählten Gremien auch in Krisenzeiten zu gewährleisten, müsse der Bundesregierung aufgegeben werden, die Rechtsverordnungen, zu denen sie wegen der festgestellten epidemiologischen Lage ermächtigt ist, unverzüglich, also längstens binnen einer Frist von sieben Tagen, durch den Bundestag bestätigen zu lassen. Die Zulässigkeit eines solchen Zustimmungsvorbehalts sei in anderem Zusammenhang bereits verfassungsrechtlich anerkannt (NJW 1959, 475). Werde die Zustimmung vom Parlament nicht erteilt, sei die Rechtsverordnung hinfällig.

Wesentliche Entscheidungskompetenz darf nicht bei Regierung konzentriert werden

In einem demokratischen System dürfe auch in Krisenzeiten nicht wesentliche Entscheidungskompetenz bei der Regierung konzentriert werden, heißt es in der Stellungnahme des DAV. Stattdessen müsse der Bundestag in die Lage versetzt werden, Entscheidungen auch ohne physische Zusammenkünfte treffen zu können. Hier stünden die Abgeordneten vor derselben Herausforderung wie viele Unternehmen und Beschäftigte. Die heute zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel würden dezentrale Kommunikation und Entscheidung möglich machen.

"Echte" Ausgangssperren mit Grundgesetz nicht vereinbar

Es sei unbestritten, dass zur Eindämmung der Pandemie weitreichende Beschränkungen des sozialen Lebens erforderlich seien. Schließungen von Kultureinrichtungen, von Bars, Restaurants und Geschäften, deren Besuch nicht lebensnotwendig ist, seien schmerzhafte, aber unvermeidbare Einschnitte in das gesellschaftliche Leben, ebenso wie das Gebot, Ansammlungen von Menschengruppen im öffentlichen Raum zu unterlassen. Ein generelles Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, sei dagegen mit dem Leitbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, betont der DAV. Dies gelte auch dann, wenn einige Ausnahmetatbestände (Einkauf, Arbeit, Arztbesuche et cetera) zugelassen würden. Bürger dürften nicht gezwungen werden, sich gegenüber der Polizei dafür zu rechtfertigen, warum sie von grundlegenden Freiheiten Gebrauch machen. Es sei nicht hinnehmbar, wenn beispielsweise die geltende Berliner Regelung vorsieht, gegenüber der Staatsgewalt glaubhaft machen zu müssen, warum man einen Arzt oder Rechtsanwalt aufsuchen muss.

Zugang zu anwaltlicher Unterstützung muss gewahrt bleiben

Der Zugang zu anwaltlicher Unterstützung sei in Krisenzeiten sicherzustellen. Rechtsuchenden müsse der Weg zum Anwalt immer offenstehen, er dürfe nicht von der Bewertung der Dringlichkeit des Kontakts durch den Staat abhängen. Rechtsanwaltskanzleien dürften auch nicht – wie in Italien – vom Staat geschlossen werden. Dies gelte gerade dann, wenn der Staat Freiheitsbeschränkungen verfüge, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig seien, betonte der DAV.

Redaktion beck-aktuell, 25. März 2020.