Verfassungsbeschwerden gegen Masern-Impfpflicht erfolglos
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Die Masern-Impfpflicht unter anderem für Kita-Kinder bleibt in Kraft. Das Bundesverfassungsgericht wies mehrere Verfassungsbeschwerden betroffener Familien zurück, wie es am Donnerstag in Karlsruhe mitteilte. Die Grundrechtseingriffe seien zumutbar, um besonders gefährdete Menschen vor einer Infektion zu schützen. Allerdings dürfen nur Kombinationsimpfstoffe verwendet werden, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken.

Impfungen sollen Masern ausrotten

Die Impfpflicht soll dazu beitragen, die Masern eines Tages ganz auszurotten. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass das hochansteckende Virus erst dann keine Chance mehr hat, wenn flächendeckend mindestens 95% der Bevölkerung geimpft sind. Das ist noch nicht erreicht. Im Fokus stehen vor allem Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen. Seit 01.03.2020 dürfen Kitas Kinder ab einem Jahr nur noch aufnehmen, wenn sie geimpft sind oder schon die Masern hatten. Bei Tagesmüttern und -vätern gelten dieselben Regeln. Eltern bereits betreuter Kinder hatten bis 31.07.2022 Zeit, den Nachweis vorzulegen. Von der Schule wird wegen der Schulpflicht zwar kein Kind ausgeschlossen. Den Eltern drohen aber Bußgelder von bis zu 2.500 Euro.

Klagen von vier Familien

Geklagt haben vier betroffene Familien mit kleinen Kindern. Die klagenden Eltern sehen in den Impfungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht ihrer Kinder auf körperliche Unversehrtheit und ihr eigenes Erziehungsrecht. Eilanträge zweier Familien hatte das BVerfG im Mai 2020 abgewiesen. Eine eingehende Prüfung aller relevanten Fragen fand aber erst jetzt im Hauptverfahren statt. Die Beschwerdeführenden sind jeweils gemeinsam sorgeberechtigte Eltern sowie ihre minderjährigen Kinder, die kommunale Kindertagesstätten besuchen oder von einer Tagesmutter mit Erlaubnis zur Kindertagespflege nach § 43 SGB VIII betreut werden sollten. Sie wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, die eine solche Betreuung lediglich dann gestatten, wenn die betroffenen Kinder gegen Masern geimpft sind und diese Impfung auch nachgewiesen wird. Die angegriffenen Vorschriften berühren sowohl das die Gesundheitssorge für ihre Kinder umfassende Grundrecht der beschwerdeführenden Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch und vor allem das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht der beschwerdeführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit. 

Gesetzgeber durfte Schutz durch Maserninfektion gefährdeter Menschen Vorrang einräumen

Sowohl die Eingriffe in das Elternrecht als auch die in die körperliche Unversehrtheit sind unter Berücksichtigung der verfassungskonformen Auslegung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat der Gesetzgeber dem Schutz durch eine Maserninfektion gefährdeter Menschen den Vorrang vor den Interessen der beschwerdeführenden Kinder und Eltern eingeräumt. Die Zurückweisung der Verfassungsbeschwerden erfolgt allerdings mit der Maßgabe einer verfassungskonformen Auslegung, die an die zur Durchführung der Masernimpfung im Inland verfügbaren Impfstoffe anknüpft. Stehen - wie derzeit in Deutschland - ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung, ist § 20 Abs. 8 Satz 3 IfSG verfassungskonform so zu verstehen, dass die Pflicht, eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen, nur dann gilt, wenn es sich um Kombinationsimpfstoffe handelt, die keine weiteren Impfstoffkomponenten enthalten als die gegen Masern, Mumps, Röteln oder Windpocken.

Hintergrund: Mehr als nur eine Kinderkrankheit

Expertinnen und Experten warnen vor dem Trugschluss, die Masern seien nur eine harmlose Kinderkrankheit. Es könne zu Komplikationen kommen, und das Immunsystem bleibe für längere Zeit geschwächt. Eine seltene Spätfolge sei eine Gehirnentzündung, die fast immer tödlich endet. Eine möglichst hohe Impfquote schützt auch Menschen, die nicht geimpft werden können, wie Säuglinge oder Schwangere. Die Impfpflicht gilt auch noch in anderen Einrichtungen, in denen viele Menschen zusammenkommen, etwa in Flüchtlingsunterkünften. Umfasst sind auch die Beschäftigten, also zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher. Das Personal in Krankenhäusern oder Arztpraxen muss ebenfalls gegen die Masern geimpft oder immun sein. Ausgenommen sind alle, die vor 1971 geboren sind. Bei den Älteren geht man davon aus, dass sie höchstwahrscheinlich sowieso einmal die Masern hatten. Denn die Impfung wird in der Bundesrepublik erst seit 1974 empfohlen. In der DDR war sie seit 1970 für Kinder Pflicht. Seit März gibt es in Deutschland außerdem eine Corona-Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal. Diese hat das Verfassungsgericht bereits überprüft und gebilligt.

Lauterbach zufrieden mit Urteil

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Entscheidung als "gute Nachricht für Eltern und Kinder" bezeichnet. "Eine Masernerkrankung ist lebensgefährlich - für die Erkrankten und ihr Umfeld", teilte der SPD-Politiker am Donnerstag in Berlin mit. Es sei deshalb Aufgabe des Staates, Infektionen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen zu vermeiden. "Wer dort betreut oder unterrichtet wird und wer dort arbeitet, muss nachweislich vor einer Maserninfektion geschützt sein. Und für alle anderen ist die Masernimpfung ein Gebot der Vernunft."

BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 - 1 BvR 469/20

Redaktion beck-aktuell, 18. August 2022 (ergänzt durch Material der dpa).